Elegie, Epigramm und Aphorismus

geschrieben von Thomas Rackwitz (17.08.2002)


Elegie

Mit elegischer Stille meint man stille Trauer und Ergebenheit, sie kann in allen Gebieten der Kunst vorkommen. Als lyrische Art war die Elegie im Altertum ursprünglich keine Inhalts- sondern eher eine Formbezeichnung. Sie umfasste alle DISTICHEN, die nicht EPIGRAMME waren, und konnte die verschiedenartigsten Inhalte haben: Sage, Geschichte, Politik, Betrachtung oder Liebe. Später verbanden sich mit den formalen die gehaltlichen Elemente der Klage. In Deutschland halten sich die rein formale und die inhaltliche Bestimmung die Waage. Berühmte deutsche Elegiendichter waren u.a. Goethe (Römische Elegien), Klopstock (Rothschilds Gräber), Schiller (Die Ideale), Hölderlin (Menons Klage) und dann wieder bei Rilke (Duineser Elegien).

Bsp.

Die vierte Elegie (Rainer Maria Rilke)

O Bäume Lebens, o wann winterlich?
Wir sind nicht einig. Sind nicht wie die Zug-
vögel verständigt. Überholt und spät,
so drängen wir uns plötzlich Winden auf
und fallen ein auf teilnahmslosen Teich.
Blühn und verdorrn ist uns zugleich bewußt.
Und irgendwo gehn Löwen noch und wissen,
solang sie herrlich sind, von keiner Ohnmacht.

Uns aber, wo wir Eines meinen, ganz,
ist schon des andern Aufwand fühlbar. Feindschaft
ist uns das Nächste. Treten Liebende
nicht immerfort an Ränder, eins im andern,
die sich versprachen Weite, Jagd und Heimat.
Da wird für eines Augenblickes Zeichnung
ein Grund von Gegenteil bereitet, m¨hsam,
daß wir sie sähen; denn man ist sehr deutlich
mit uns. Wir kennen den Kontur
des Fühlens nicht: nur, was ihn formt von außen.
Wer saß nicht bang vor seines Herzens Vorhang?
Der schlug sich auf: die Szenerie war Abschied.
Leicht zu verstehen. Der bekannte Garten,
und schwankte leise: dann erst kam der Tänzer.
Nicht der. Genug! Und wenn er auch so leicht tut,
er ist verkleidet und er wird ein Bürger
und geht durch seine Küche in die Wohnung.
Ich will nicht diese halbgefüllten Masken,
lieber die Puppe. Die ist voll. Ich will
den Balg aushalten und den Draht und ihr
Gesicht aus Aussehn. Hier. Ich bin davor.
Wenn auch die Lampen ausgehn, wenn mir auch
gesagt wird: Nichts mehr -, wenn auch von der Bühne
das Leere herkommt mit dem grauen Luftzug,
wenn auch von meinen stillen Vorfahrn keiner
mehr mit mir dasitzt, keine Frau, sogar
der Knabe nicht mehr mit dem braunen Schielaug:
Ich bleibe dennoch. Es giebt immer Zuschaun.

Hab ich nicht recht? Du, der um mich so bitter
das Leben schmeckte, meines kostend, Vater,
den ersten trüben Aufguß meines Müssens,
da ich heranwuchs, immer wieder kostend
und, mit dem Nachgeschmack so fremder Zukunft
beschäftigt, prüftest mein beschlagnes Aufschaun, -
der du, mein Vater, seit du tot bist, oft
in meiner Hoffnung, innen in mir, Angst hast,
und Gleichmut, wie ihn Tote haben, Reiche
von Gleichmut, aufgiebst für mein bißchen Schicksal,
hab ich nicht recht? Und ihr, hab ich nicht recht,
die ihr mich liebtet für den kleinen Anfang
Liebe zu euch, von dem ich immer abkam,
weil mir der Raum in eurem Angesicht,
da ich ihn liebte, überging in Weltraum,
in dem ihr nicht mehr wart....: wenn mir zumut ist,
zu warten vor der Puppenbühne, nein,
so völlig hinzuschaun, daß, um mein Schauen
am Ende aufzuwiegen, dort als Spieler
ein Engel hinmuß, der die Bälge hochreißt.
Engel und Puppe: dann ist endlich Schauspiel.
Dann kommt zusammen, was wir immerfort
entzwein, indem wir da sind. Dann entsteht
aus unsern Jahreszeiten erst der Umkreis
des ganzen Wandelns. Über uns hinüber
spielt dann der Engel. Sieh, die Sterbenden,
sollten sie nicht vermuten, wie voll Vorwand
das alles ist, was wir hier leisten. Alles
ist nicht es selbst. O Stunden in der Kindheit,
da hinter den Figuren mehr als nur
Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft.
Wir wuchsen freilich und wir drängten manchmal,
bald groß zu werden, denen halb zulieb,
die andres nicht mehr hatten, als das Großsein.
Und waren doch, in unserem Alleingehn,
mit Dauerndem vergnügt und standen da
im Zwischenraume zwischen Welt und Spielzeug,
an einer Stelle, die seit Anbeginn
gegründet war für einen reinen Vorgang.

Wer zeigt ein Kind, so wie es steht? Wer stellt
es ins Gestirn und giebt das Maß des Abstands
ihm in die Hand? Wer macht den Kindertod
aus grauem Brot, das hart wird, - oder läßt
ihn drin im runden Mund, so wie den Gröps
von einem schönen Apfel? Mörder sind
leicht einzusehen. Aber dies: den Tod,
den ganzen Tod, noch vor dem Leben so
sanft zu enthalten und nicht bös zu sein,
ist unbeschreiblich.


Distichon

Bezeichnung für einen Doppelvers, der aus einem HEXAMETER und einem PENTAMETER besteht. Diese verbinden sich zu einer zweiteiligen Strophe, entweder als lyrische Texteinheit (z.B. Epigramm) oder fortlaufend in einem Gedicht (z.B. Elegie). Beispiel: "Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule. Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab." (Friedrich Schiller, das Distichon)

Das Distichon entstand in der Verbindung mit der griechisch römischen Elegie. Deutsche Nachbildungen des Distichon gibt es seit dem Barock, zunächst in gereimter Form, seit Beginn des 18. Jahrhunderts reimlos.


Hexameter

Eine aus 6 Dakytlen bestehender antiker Vers. Der Hexameter kann mehrere Zäsuren haben. Die wichtigsten Zäsuren sind die Zäsuren nach der dritten oder nach der vierten Hebung. Der Hexameter ist der Grundvers des griechischen (Homer [Ilias/Odyssee]) und des römischen Epos (Vergil). Eine Hexameterdichtung des 18. Jahrhunderts ist z.B. Goethes Versepos "Hermann und Dorothea" (1797).


Pentameter

Ein aus fünf metrischen Einheiten bestehender Vers. Hauptform ist der dakytilische Pentameter, der trotz seines Namens aus 6 Daktylen besteht (wegen des Fehlens der dritten und sechsten Hebung wurden im Griechischen nur 5 Längen gezählt). Wesentliches Kennzeichen ist der unveränderliche Einschnitt nach der dritten Hebung. Beispiel:

"Sei mir, Sonne, gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint" (Schiller, "Der Spaziergang") Durch den abreißenden Rhythmus erhält der Pentameter eine große innere Spannung und ist zum Ausdruck starker Gemütsbewegungen und v.a. von Antithesen geeignet.


Epigramm

Das Epigramm, auch Sinngedicht, ist ein scharfsinniger Einfall, kurz und pointiert formuliert, manchmal satirisch. Im Unterschied zum APHORISMUS ist es in Reimform gefasst, meist in ALEXANDRINERN, seit Klopstock auch als Distichon.

z.B. Teuer ist mir der Freund, doch auch der Feind kann mir nützen. Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll. (Friedrich Schiller)

Epigrammatiker schöpfen den Vorrat an poetischen Mitteln aus, um trotz der Kürze viel zu sagen. Sie verwenden Antithese (Freund - Feind) und Wortspiel ( Logau: der Soldat sei resolut), häufen Synonyme (Stunde, Tage, Jahr und Zeit), gebrauchen Bilder (Logau: Die Welt ist wie das Meer; ...der Teufel macht den Sturm, die Sünden Ungewitter) und paradoxe Wendungen (Logau: Zu fragen, die sind taub; zu hören, die nichts sagen). Das Epigramm kommt aus dem Griechischen, wo es sich von der Aufschrift auf Grabmälern und Gebäuden zu einer literarischen Gattung entwickelt hat. Im Abendland wurde es in der Renaissance wieder eingeführt und war in allen antikisierenden Epochen beliebt. Bis 1800 waren die bevorzugten Stoffe: Lob berühmter und vornehmer Personen, Angriffe auf die Laster der Zeit einzelner Stände (z.B. Studenten).


Aphorismus

Aphorismen sind kurze, prägnante, abgerundete Aussagen in Prosa mit meist versteckter lehrhafter Absicht.

z.B. "Eine sklavische Handlung ist nicht immer die Handlung eines Sklaven" (Lichtenberg).

Sie sind Äußerungen eines Menschen, der Meinungen überprüft und Denkschablonen entlarvt, dabei aber nicht systematisch vorgeht. Deshalb sind die Gedanken nicht verbunden, sie sind nicht erklärt oder begründet; sie bleiben Splitter. Wichtig ist die Originalität. Die Kunst des Aphorismus ist die sprachliche Formulierung: Sie sucht die überraschende Wendung, ist daher leicht überdreht, paradox, im Stil antithetisch. Seinen Ursprung hat der Aphorismus bei den französischen Moralisten des 17./18.Jahrhunderts. Deutsche Vertreter außer Lichtenberg sind Goethe, Heine, Nietzsche, Kraus, Kafka usw.

Zeitungen und Zeitschriften pflegen den Aphorismus heute regelmäßig; er steht unserer Lebensart nahe. Ihre Subjektivität, ihre Originalität und ihre höhere stilistische Ebene trenne die Aphorismen von den Sprichwörtern, die allgemeine Lebensweisen enthalten. Eine Art Übergangsform zwischen beiden ist die Sentenz, verständlicher als der Aphorismus und eine Erkenntnis verallgemeinernd. Mit den Epigrammen teilen die Aphorismen den gehobenen Inhalt und die Stilmittel, sie unterscheiden sich jedoch durch die Prosafassung.


Alexandriner

Bezeichnung für einen Reimvers, der sechs Hebungen und einen festen Einschnitt (Zäsur) in der Mitte hat. Da der Alexandriner aus Jamben besteht, erfolgt die Zäsur nach der dritten Hebung oder sechsten Silbe. Durch die strenge Einhaltung der Zäsur eignet sich der Alexandriner besonders zur Betonung von Antithese oder Parallelität. In der Barockzeit wurde er daher besonders häufig benutzt, denn das Denken in starken Gegensatzpaaren ist typisch für die barocke Weltsicht.

Beispiel:

"Ich weiß nicht was ich wil
ich wil nicht was ich weiß:
im Sommer ist mir kalt
im Winter ist mir heiß."

(Martin Opitz)


Quelle: Schüler Duden Literatur, Abitur Wissen Literatur