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Meine Bank

Angelika Gentgen - 29.06.2003

Durch meinen Schreibtischganztagsjob freue ich mich schon vormittags auf die Stunde Mittagspause, in der ich mich fast immer nach draußen begebe.
Ich komme mir in meinem Büro so... eingesperrt vor, bin froh mittags etwas Abwechslung in mein Leben bringen zu können.

Meistens steuere ich zuerst eine - wechselnde - Bäckerei an - von wegen der Abwechslung - kaufe mir zwei Teilchen oder ein mit "allem" belegtes Brötchen und gehe dann spazieren.


Mein Arbeitsplatz befindet sich im Industriegebiet, in der Peripherie, eines wunderschönen alten Städtchens.
Es liegt trutzig inmitten hügeliger Landschaft, wirkt auf den zweiten Blick noch sehr ländlich, verträumt.
Eine alte Stadtmauer umschließt den Kern, rundherum wurden einige alte Durchgangstore liebevoll restauriert.
Ritterburgen gleich, mit ihren gezackten runden Schachspieltürmen wirken sie schon von weitem verwunschen, besonders wenn der Morgennebel sie noch schützend umhüllt.
Schafe weiden auf den Wiesen, und alte Landwirtschaftsgeräte stehen wie vergessen dort herum.

Die Straße an der sich mein Arbeitsplatz befindet heißt "Römerallee". Eine alte freigelegte römische Badeanlage gibt es in dem Städtchen zu besichtigen, mit einer fast 2000 Jahre alten "Fußbodenheizung".
Manchmal sehe ich Motorradfahrer, die es hierhin verschlägt. Sie fragen sich durch, suchen das "Römerbad".
Kunstinteressierte, die angenehmes mit nützlichem verbinden wollen?
Die vielen gewundenen Sträßchen bieten ihnen die optimale Möglichkeit ihre Fahrkünste auszutesten, und ein bißchen bilden kann man sich ja auch zwischendurch. Kann ja nicht schaden.

Oft schlage ich mittags den Weg zu diesem Römerbad ein, denn dahinter versteckt sich ein kleiner Kinderspielplatz, mit nur einer einzigen Parkbank darauf - meiner Bank - die auch noch schön schattig platziert wurde.
Der ideale Ort, meine kleinen "Sünden" genüsslich zu verspeisen.
Die Bäume rascheln anheimelnd, bewegt vom leichten Wind, Schmetterlinge fliegen umher, Gräser wiegen sich.
Ein alter, ausgetrockneter Wassergraben bringt eine Hügellandschaft auch auf diesen Spielplatz.
Und immer bin ich alleine, fast alleine dort.
Ein Abkürzungspfad durchquert den Spielplatz.
Ab und zu kommt einmal jemand vorbei. Oft sind es diegleichen Personen:
Ein alter kugeliger Mann schiebt mühsam sein Fahrrad, an dem diverse Plastikeimer, verschiedener Größe baumeln, meistens leere - seltsamerweise. (Nicht an dem Mann.)
Er bewirtschaftet in der Nähe einen großen Garten.
Ich stelle mir vor, dass der Mann proportional ohne weiteres in eines dieser Überraschungseier passen würde, und das Fahrrad mit den Eimern könnte man als Bausatz dazu geben.

Eine Frau mittleren Alters, die etwas speckig aussieht, schlurft ab und zu, dick mit Einkaufstüten bepackt, vorbei.
Ich beobachtete sie, als sie um die Ecke bog, stutzte und wohl dachte: Ach schade, meine Bank ist besetzt.
Tage zuvor kam sie mir entgegen, als ich durch die Fußgängerzone des Städtchens schlenderte.
Sie baute sich vor mir auf und sagte: "Warm, ne!" Und bevor ich überhaupt Gelegenheit fand etwas zu erwidern, sinnierte sie: "Meinen se, isch soll wat langsam tuen?"
Ich bejahte grinsend, und sie zog weiter, bepackt mit ihren Tüten.


Ist es nicht schade, dass man die Personen, die die Bank als die ihre betrachten, nicht kennt?
Vielleicht kommt vormittags regelmäßig eine junge Frau mit Kleinkind hierhin, die es dort spielen läßt und von der Bank aus dessen Tun beobachtet.
Und nachmittags nach Schulschluß sitzen immer dieselben Schüler hier, die ihre erste Zigarette hier probierten und sich dem Erfahrungsaustausch in Sachen Liebe hingeben, theoretisch, wie praktisch; die eingeritzten Krickeleien lassen darauf schliessen: Susi liebt Strolchi, und Babs findet Manuel doooof.
Sie sitzen natürlich oben auf dem Lehnenrand, denn unten auf der Bank zu sitzen ist ja uncool. Obwohl.... knutschen läßt es sich besser unten. Da besteht nicht so schnell die Gefahr des plötzlichen nach hinten Abrutschens, falls man etwas erlebt, das einen umhaut.

Und abends sitzt vielleicht immer der alte Rentner hier, der erst einmal die Bank reinwischt, bevor er sich hinsetzt; genau wie ich, dem Zwitschern der Vögel zuzuhören und das Wiegen der Gräser zu beobachten. Und er denkt: Das ist meine Bank.
Genau wie ich.

Warum stellt man nicht eine Art wetterfestes Gästebuch neben dieser Bank auf? Neben jeder Bank auf?
Da könnten sich dann alle, die dort gewesen sind eintragen, und man wüsste, wer noch die Bank als die seine betrachtet.
Vielleicht würden ja dann auch der Krickeleien weniger, wenn die Jugendlichen die Möglichkeit hätten, ihre Botschaft direkt aufs Papier zu bringen.


Die Schmetterlinge, die dort ihre filigrane Flugkunstschau präsentieren, sind von hellbeiger Farbe.
Überhaupt sah ich lange keine leuchtend gelben Zitronenfalter mehr.
Oder sind Zitronenfalter mittlerweile beige - vielleicht weil sie sich zu sehr dem Sauren Regen ausgesetzt sahen und deshalb verblassten?
Oder bekamen sie zu viel Sonne ab?
Dann sollte man ihren Namen von Zitronenfalter auf Litschi-von-innen-Falter abändern! Oder?





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 16.07.2004
Kategorie: Kurzgeschichten

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