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Die Entscheidung

Angelika Gentgen - 15.06.2003

Sicher habe ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht.
Und immer wieder frage ich mich: War es richtig?

Wann lässt man einen altersschwachen Hund einschläfern?
Er war nicht krank, nur alt, für einen Hund sehr alt, 16 Jahre.

Ich sage mir: Er hat sein Hundeleben gelebt, und jetzt hat er Frieden verdient.
Aber, er war nicht uninteressiert an den Dingen. Er verschlief zwar die meiste Zeit des Tages, aber in seinen Wachphasen erschnüffelte er doch noch neugierig seine Welt.


In den letzten Tagen belastete diese drückende Wüstenhitze auch mich, und Benji stand des öfteren einfach nur herum, wie ein Dekorationsstück, das man versehentlich mitten im Raum hat stehen lassen. Ich stolperte mehrmals über ihn, wie der Butler in „Diner for one“ über das Bärenfell.

An den beiden vorangegangenen Tagen hatte er sein Fressen verweigert. Er magerte schon seit Wochen zusehends ab, obwohl ich ihn in letzter Zeit zweimal täglich fütterte.

Und gestern habe ich mich entschlossen, den Schritt zu tuen, ich rief die Tierärztin an und bat um einen Termin, ihn einschläfern zu lassen.
Als sie mir sagte: „Morgen, um 10 Uhr 15!“ war mein erster Impuls zu antworten: „Was, morgen schon? Nein, morgen noch nicht!“
Aber, ich sprach nicht aus, was ich dachte, sondern sagte einfach nur: „Gut, also bis morgen!“

Ich bürstete ihn noch einmal, beobachtete ihn beim Über-die-Wiese-laufen und habe gedacht: „Das war`s dann!“ Und mich gefragt: Ist die Entscheidung die Richtige?

In den letzten Wochen habe ich ihm immer wieder beim Schlafen zugeschaut, seine Atmung ging so flach, dass ich ein paar Mal dachte: „Lebt er überhaupt noch?“ Und ich habe gehofft, dass er nicht mehr lebt, dass mir jemand diese Entscheidung abgenommen hat.
Aber diesen Gefallen hat Gott mir nicht getan.

Gestern Abend fütterte ich Benji noch einmal und dachte: „Henkersmahlzeit“, und er hat seine Henkersmahlzeit mit Heißhunger verschlungen. Und jedes Mal mein Beobachten und meine Frage: Ist das richtig?

Heute Morgen, als wir zum Auto gingen, übersprang er die letzen beiden Stufen der Eingangstreppe – die er in letzter Zeit immer ganz schwerfällig meisterte – mit einer Leichtigkeit, die mich verwunderte.

Und ich dachte wieder: Ist das richtig?


Er ist von der Tierärztin in Schlaf versetzt worden, anschließend ließ sie uns noch 10 Minuten mit ihm alleine. Dann setzte sie ihm eine Überdosis Narkotika, so dass sein Herz zu schlagen aufhörte.

Warum konnte ER mir die Entscheidung nicht abnehmen?

Angelika Gentgen
15.06.2003





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 25.03.2005
Kategorie: Nachdenkliches

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