Nachruf auf Frau Herta Schmidt

Seltsam - es hat mich wie ein kleiner Schock
getroffen: Räumt da heut' in unserm Haus
Hausmeister Krause eine Wohnung aus:
die von der alten Schmidt im dritten Stock.

Wie üblich läßt er sich gut Zeit dabei
und nörgelt vor sich hin, ununterbrochen;
erzählt verärgert, daß schon vor fünf Wochen
die Alte wohl da drin gestorben sei.

Sie habe weder Kinder noch Verwandte,
anscheinend. "Also räumt den ganzen Dreck
mal wieder", griesgramt er, "der Krause weg!" -
Frau Schmidt tot - die ich doch seit Jahren kannte...!

Nun ja: wer "kennt" heut' seine Nachbarn noch?!
Obwohl ich mit der alten Schmidt jetzt schon
seit wann gleich unterm selben Dach hier wohn'?
Fast sechzehn Jahre! Kann das sein? Doch, doch...

Man grüßte sich im Treppenhaus, nicht mehr...
Und einmal hab' ich ihr den Einkaufswagen,
die Tasche mit den Rollen, hochgetragen -
ist aber auch schon wieder Jahre her...

Ich glaube, sie war Witwe: keinerlei
Besuche, arm gekleidet, still, bescheiden.
Doch hier im Haus die Kinder konnt' sie leiden:
stets hatte sie Bonbons für die dabei.

Was nur die Kinder nicht recht anerkannten,
die, wegen einer Warze im Gesicht
der alten Dame, sie - laut dem Bericht
Kathrinchens - "Eukalyptushexe" nannten...

Besaß sie früher nicht auch einen Hund?
Der muß dann aber mal gestorben sein...
Und sie muß seitdem ganz und gar allein
gewesen sein. Bedauernswert im Grund...

Nein, es hat niemand sich um sie gekümmert:
sonst hätte man doch nicht erst nach fünf Wochen
die Tür zu ihrer Wohnung aufgebrochen!
Was irgendwie die Sache noch verschlimmert...

Zuletzt hab' ich sie in der Stadt gesehen,
beim Taubenfüttern: lächelnd, aufgestützt
auf ihren Gehstock, den sie stets benützt.
Es fiel ihr sichtlich nicht mehr leicht, das Gehen.

Und hier tagtäglich in den dritten Stock
die Treppe hoch...! - Wer weiß: im Grund genommen
war ihr der Tod vielleicht sogar willkommen...?
Trotzdem: mich traf es wie ein kleiner Schock...