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Kinderträume (Sogni d' oro)

SergeD. - August 2006

Sogni d' oro

Kinderträume

(Dino Buzzati gewidmet)


In manchen Nächten, wenn ich schlaflos liege,
mich hin und her wälz', hör' ich wie im Traum
die leichten Tritte wieder auf der Stiege;

dann knarzt die Tür und er betritt den Raum.
Er altert nicht. Er ist, wie schon seit Jahren,
ein Knabe, Kindergartengröße kaum,

mit frech zerzausten, dichten dunklen Haaren
und Augen, die noch glänzen fröhlich-keck,
voll Neugier auf das Leben, unerfahren,

und seine Hose ziert so mancher Fleck:
als käme er von drauß, vom Spielplatz grade,
hätt' Burgen dort gebaut aus Sand und Dreck.

Sein Mündchen zeigt: er mag gern Schokolade,
und seine Händchen... Kurz: wenn Mutti ihn
erwischt, wird er gebadet ohne Gnade.

Doch seit er mir zum ersten Mal erschien,
ist das schon so; der Wildfang wird nicht reiner.
Stets schmutzig und mit aufgeschürften Knien

tappst er daher. Und er ist nie ein feiner,
beherrschter, stolzer Mann geworden je.
Denn er ist ich - nur jünger noch und kleiner.

Doch während ich ihn amüsiert beseh',
sind seine Augen eine stumme Klage.
Er ist enttäuscht, mein Anblick tut ihm weh.

Er hat sich mehr erwartet, ohne Frage...
Mir ist, als müsse ich ihn trösten, doch
ich bin dazu nicht wirklich in der Lage:

bin nicht Pilot, nicht Held, Spaghettikoch,
nicht Präsident geworden, auch nicht Feuer-
wehrmann und was er sonst sich wünschte noch.

Mein Leben ist ein Trott, kein Abenteuer.
Und statt als Seebär oder gar Pirat
verdien' ich im Büro mir karge Heuer.

Noch nie beging ich eine Heldentat,
hab keinen Orden je verlieh'n bekommen
und eß sogar seit Jahren schon Spinat -

was er sich nie zu tun fest vorgenommen!
Ja, mancher Vorsatz, manches Lebensziel
ist auf dem Meer der Zeit davongeschwommen...

Doch was versteht ein Kind davon? Nicht viel.
Es muß erst lernen, Träume aufzugeben
und einzusehen, daß kein buntes Spiel,

vielmehr trist grauer Ernst es ist, das Leben.
Erwachsen werden heißt: am Boden steh'n,
nicht länger träumend in den Wolken schweben.

Und niemand kommt umhin, es einzuseh'n:
Man muß die Träume irgendwann begraben,
da sie ja doch nie in Erfüllung geh'n.

Noch jedesmal hab ich dem dummen Knaben
versucht, das zu erklären, aber nein:
er weigert sich partout, das wahrzuhaben,

behauptet, Illusionen müßten sein,
und grinst zuletzt: "Du träumst ja selbst noch immer!
Bist selbst im Herzen noch wie ich so klein!"

Und dann - nur deshalb kommt er in mein Zimmer -
fragt er mit einem Leuchten im Gesicht:
"Hast du ein neues? Sag!" - "Na klar, du Schlimmer!"

Noch mehr enttäuschen will ich ihn ja nicht...
"Na siehst du: du bist doch ein Kind geblieben!" -
"Nein", lächle ich, "ich hab in dem Gedicht
nur wieder deine Träume aufgeschrieben."





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 30.05.2007
Kategorie: Kinder

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