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Eine Weihnachtsgeschichte (III)

Petra Friedel - 2017

Sie rieb sich verwundert die Augen. Hatte sie das wirklich erlebt oder nur geträumt?
Ännli saß stumm auf dem Tisch und sah sie mit ihren dunkelbraunen Knopfaugen an. Genefa griff nach ihr. Kein Leben war in ihr, Egbrecht hatte gelogen! Gut, ihre Puppe hatte jetzt ein hübsches weißes Sternkleid an und trug einen seltsamen Hut auf dem Kopf, aber sonst passierte nichts, so sehr sie diese auch drehte und wendete.
Genefa war ein klein bisschen wütend und fing an, an einem der goldenen Metallsternchen herumzuspielen, mit welchen Ännlis Kleid bestückt war. Ob das echtes Gold war? Sie nahm ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und begann prüfend daran zu reiben. Draußen dämmerte es bereits und obwohl Genefas Zimmer hoch oben im Turm lag und eines der hellsten im ganzen Schloss war, herrschte nun Halbdunkel im Raum.
Ganz dicht beugte sie sich über Ännli, um noch etwas deutlicher sehen zu können. Ihre Nasenspitze berührte fast einen der kleinen goldenen Sterne, an welchem sie noch immer rieb, als sie plötzlich ein freundliches, klingendes Stimmchen hörte: „Nicht so heftig, Genefa, du reibst ja den ganzen Goldflimmer vom Holzstern!“ Erschrocken fuhr sie zurück und bemerkte, dass Ännli jetzt so ganz anders aussah. Statt der Strohpuppe saß nun ein Wesen aus Fleisch und Blut auf dem Tisch, sah sie mit freundlichen blauen Augen an und sagte: „Wie schön, dass wir beide nun miteinander sprechen können! Egbrecht lügt nie, ich kenne ihn schon sehr lange, das Reich der Feen liegt gleich neben dem der Kobolde! Er rief mich und bat mich, in deine Puppe zu schlüpfen, wann immer du an einem der Sterne reibst. Das tue ich gern, mag ich doch auch die Menschen. Mal sind sie freundlich, dann wieder nicht: aber sie können lernen.
Verrat niemandem, dass ich zu Dir komme, dann erfülle ich dir auch hin und wieder einen Wunsch, darum bat mich Egbrecht auch. Heute hast du einen Wunsch frei, als Dank für deine gute Tat!“
Genefa überlegte nicht lange: „Bitte zaubere mir einen Honigkrapfen, mein Magen knurrt! Und dem Fienchen leg einen unters Kopfkissen, sie braucht ja nicht wissen, woher er kommt. Hauptsache, er ist süß und lecker!“ Ännli lächelte und: schwuppdiwupp, ein herrlicher Krapfenduft erfüllte den Raum! Während Genefa im fast dunklen Raum den Krapfen hörbar verspeiste, flüsterte Ännli: „Bis bald, Genefa, ich muss jetzt nach Hause ins Feenreich, schlaf schön, mein Kind!“
Dann wurde es still im Raum und Ännli wieder ganz die alte – sie lag leblos da und ihre kleinen Strohbeinchen schauten starr unter dem wunderschönen neuen Kleid hervor. Genefa nahm sie liebevoll in den Arm und legte sich ins Bett. Streichelte ihr noch einmal über die Haare, flüsterte: „Schlaf auch du schön, mein Ännli! Nie wieder lege ich Dich in die grässliche, dunkle Truhe!“
Dann gähnte sie und dachte an all das Erlebte: an Barbara und Fienchen, den großen Krapfentopf mit seinem zerschellten Deckel und an Egbrecht, welcher ihrem Ännli Leben einhauchte. Nicht lange danach war Genefa mit einem seligen Lächeln im Gesicht eingeschlafen.

Fortsetzung folgt ...





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 08.12.2017
Kategorie: Märchen & Fabeln

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