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Eine Weihnachtsgeschichte (IV)

Petra Friedel - 2017

Am nächsten Morgen klopfte es zaghaft an Genefas Tür. Diese war schon sehr früh aufgewacht, mochte aber nicht aufstehen. Zu dieser Jahreszeit war es ungemütlich im Turmzimmer, das Feuer im Kamin war bereits am Abend erloschen. Vorsichtig streckte sie einen Fuß unter der Bettdecke hervor, um ihn gleich darauf wieder zurückzuziehen. Brrrrr, was für eine Kälte!
Wieder klopfte es leise. „Es hilft ja nichts!“ dachte sie, sprang beherzt aus dem Bett und lief zur Tür, um sie zu öffnen. Kaum war diese einen Spaltbreit offen, schlüpfte Fienchen herein. Zielstrebig lief sie auf den Tisch zu und rief: „Guten Morgen! Wie es hier wieder aussieht!“
Fienchen liebte es, Ordnung zu machen. Sie begann, die unzähligen Buntstifte, welche wahllos auf dem Tisch verstreut lagen, in eine kleine Holzkiste zu sortieren. Dabei redete sie wie ein Wasserfall weiter: „Warum bist du gestern nicht mehr heruntergekommen? Ich habe gewartet und Mutter hat noch lange und laut geschimpft. Weil sie nun noch einmal Krapfen backen müsse, der Kobold hat fast alle vertilgt. Und Weihnachten ohne Honigkrapfen geht ja nicht. Mutter ist gerade dabei, neuen Teig herzustellen. Wir müssen ihr helfen, also zieh dich an und dann geht’s los!“
Fienchen drehte sich zu ihrer Freundin um, die wegen der Kälte wieder ins Bett geschlüpft war. Sie schwieg, ihr waren die Ereignisse vom Vorabend wieder eingefallen. Fienchen plapperte weiter: „Stell dir vor, ich habe unter meinem Kopfkissen zwei Honigkrapfen gefunden! Es hat nicht viel gefehlt und ich hätte sie zermanscht, als ich am Abend ins Bett ging und mein Kopfkissen zurechtklopfen wollte! Mutter hat ganz betreten geguckt, als ich sie ihr zeigte. Sie meinte, sie hätte den armen, kleinen Kerl wohl doch zu hart angefasst!“
Fienchen griff in ihre Hosentasche und holte einen arg zerdrückten Krapfen hervor. „Hier, den habe ich dir aufgehoben, Genefa! Ich muss dir nämlich noch etwas gestehen: das Ännli ist verschwunden!“ Fienchen sah jetzt sehr betreten aus und blickte Genefa reumütig an: „Ganz und gar weg, ich kann es mir nicht erklären, ich habe gesucht und gesucht …“
Nun kam Leben in die schweigende Genefa. Sie begann ihr Bett abzusuchen und wühlte schließlich das Ännli hervor, welches in der Nacht tief unter die Bettdecke gerutscht sein musste. „Schau nur, Fienchen, das Ännli ist wieder da!“ rief sie und lachte schelmisch, als sie Fienchens verdutztes Gesicht sah. Sie erzählte ihrer Freundin, was am vergangenen Abend passiert war. Fienchen sah sie zweifelnd an: „Genefa, du spinnst mal wieder! Vielleicht hast du das geträumt, das könnte ich dir gerade noch glauben!“ Dann hielt sie inne und überlegte. Nach einer Weile sagte sie: „Das Ännli hast du heimlich heraufgeholt, gib es zu! Schabernack treibst du ja nicht zum ersten Mal!“
Genefa schüttelte energisch den Kopf: „Nein, diesmal ist es keine Alberei, ich schwöre es!“
„Dann beweise es, dreh an einem der Sterne von Ännlis Kleid, wir wollen sehen, was passiert!“ kicherte Fienchen, die sich sicher war, dass Ännli eine Strohpuppe mit schwarzen Knopfaugen war. Eine Strohpuppe, die sich nie und nimmer in eine Fee verwandeln würde! Das neue Kleid samt Hut hatte Genefa in den Tiefen ihrer großen Spielkiste gefunden, anders konnte es gar nicht sein!
Genefa blieb ernst, nahm ihre Puppe und flüsterte: „Pass auf, Fienchen!“ Sie begann, an einem der Sterne zu reiben und in Ännlis Strohkörper regte sich etwas. Das zuckte und vibrierte, die Knopfaugen begannen sich zu verändern. Fienchen sah erst Ännli und dann Genefa an. Sie quietschte erschrocken auf und lief in Richtung Tür. Genefa rief: „Hiergeblieben, du Angsthase, es passiert dir nichts!“ Fienchen blieb an der Tür stehen und sah aus sicherer Entfernung zu Ännli, aus welcher nun eine lebendige Fee geworden war und die freundlich: „Guten Morgen, ihr kleinen Quälgeister!“ sagte. Sie lächelte: „Schon so früh muss ich erscheinen, ich saß gerade bei Kaffee und Marmeladenbrot, ich hätte gern noch aufgegessen!“
Fienchen kam näher: „Tut mir leid, Ännli, ich bin schuld. Ich habe es ja nicht glauben wollen!“
„Habt ihr einen Wunsch?“ fragte die Fee. „Auja!“ Fienchen war ganz aufgeregt: „Jede Menge Süßigkeiten könnten wir gebrauchen, vielleicht auch neue Buntstifte und Malpapier! Einen neuen Kamm und Perlenketten, rote Tanzschuhe! Und ein Kleid so wie du eines hast, Ännli!“ Fienches Wangen glühten vor Aufregung, dachte sie doch an all die schönen Dinge, die sie bekommen würden!
Die Fee schüttelte den Kopf: „Einen Wunsch pro Monat habt ihr frei, Fienchen. Überlegt euch gut, was ihr euch wünscht. Unnütze Wünsche sind vertan! Am besten wird es ein, ihr überlegt noch einmal. Mein Kaffee ist noch warm und das Marmeladenbrot wartet, ich komme heute Mittag wieder, wenn es von der Turmuhr Zwölf schlägt. Und zieh dir deine Kleider an, Genefa, mich friert es schon, wenn ich dich nur ansehe!“
Kaum ausgesprochen, war sie auch schon verschwunden. Nur das Ännli bieb zurück und schaute mit ihren Augen aus schwarzen Holzknöpfen stumm in die Welt.
Genefa begann, sich anzuziehen, während sich Fienchen in den Schaukelstuhl, welcher nahe des Kamins stand, fallenließ. Sie schaukelte wie wild auf und ab, bis es schließlich aus ihr herausplatzte: „Was wünschen wir uns?“ Schmollend verzog sie den Mund: „Nur einen Wunsch, das ist doof! Man weiß ja gar nicht, womit man anfangen soll!“
Genefa, die jetzt fertig angekleidet war, erwiderte: „Sei nicht so ungeduldig, ich habe schon eine Idee! So eine, an der wir den ganzen Winter lang Freude haben werden!“ Fienchen nickte und meinte: „Na gut, ist ja auch deine Gutewünschefee! Ich lasse mich überraschen!“
Dann liefen beide die Wendeltreppe vom Turm zur Küche hinab, der Hunger meldete sich und sicher hatte Barbara schon das Frühstück zubereitet.

Der Vormittag verging schnell. Nach dem Frühstück waren die Freundinnen zu den Kaninchenställen gelaufen und hatten dicke Rüben und einige Bunde Heu verteilt. Das Vogelhäuschen bekam Sonnenblumenkerne und frisches Wasser und Hund Wotan seinen Frühstücksknochen.
Über Nacht hatte es geschneit und der frischgefallene Schnee lag weich und weiß auf allen Wegen. Alle Spuren vom Vortag waren verschwunden und es war geradeso, als wären sie die Ersten, die hier entlangliefen. Zum Spielen war es zu kalt, was sollten sie bei diesem Wetter auch spielen? Schneeflockenfangen war nach einer Weile ganz schön langweilig, auch Schneebälle werfen machte nur so lange Spaß, bis man völlig durchnässt war. Also waren sie wieder ins Haus gegangen und saßen nun auf der breiten, langen Bank am Feuer in der Küche. Ännli musste trocknen. Genefa nahm sie jetzt überall mit hin und ihr kleiner Strohkörper war im Schnee ziemlich nass geworden.
Die Turmuhr begann laut und vernehmlich zu schlagen: „Eins, Zwei, Drei, Vier, Fünf, Sechs, Sieben, Acht, Neun, Zehn, Elf, Zwölf!“ Die Kinder hatten laut mitgezählt und sahen sich erschrocken an. Sie hatten die Fee vergessen! Genefa sah zu Ännli und tatsächlich saß nun die Fee statt der Puppe neben ihnen auf der Bank. Erschrocken flüsterte sie ihr zu: „Liebe Gutewünschefee, wir haben dich vergessen! Jetzt können dich die Anderen sehen!“ Diese schüttelte den Kopf: „Nein, keiner wird etwas bemerken. Die Zeit bleibt stehen, lege ich einen Zauber darüber!“
Und tatsächlich schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Barbara, die gerade ein Blech Krapfen zum Steinofen auf dem Hof bringen wollte, stand regungslos in der offenen Tür. Die Katze, eben im Begriff auf die Bank zu springen, hing in der Luft und bewegte sich nicht. Sogar das Feuer unterm Kessel prasselte und loderte nicht mehr. Die Kinder kicherten, die Katze sah gar zu komisch aus!
Die Fee hob den Zauber auf, ließ sie auf die Bank springen und sich hinlegen. Dann legte sie den Zeitzauber wieder auf das Geschehen und wandte sich erneut an die Kinder: „Und, habt ihr gut überlegt?“
Genefa nickte: „Ja, wir wünschen uns ein Spielgerät für den Winter! Eines, das nicht so schnell kaputtgeht, wenn es nass wird. Vielleicht so eines, mit dem wir fahren und fliegen können?“
Die Fee überlegte: „Es ist schwierig, ein Ding zu zaubern, von dem ich nicht weiß was es ist und wie es aussehen soll! Weihnachten naht und in der Bastelwerkstatt des Weihnachtsmannes sind Kobolde und Elfen schon lange dabei, die Weihnachtsgeschenke für die Kinder herzustellen. Dort könnte ich fragen, die fleißigen Helfer des Weihnachtsmannes haben viele gute Ideen!“
„Können wir mit?“ Aus beiden Kindern platzte es zeitgleich heraus. Das wäre etwas, den Weihnachtsmann kennenlernen! Machte der sich doch zu Weihnachten sehr rar. Nicht ein einziges Mal hatten sie ihn zu Gesicht bekommen, auch wenn er die Geschenke stets pünktlich brachte.
Die Fee nickte: „Ja, ich werde ihn fragen. Aber ich denke, er wird nichts dagegen haben, wenn ihn zwei der vielen Kinder einmal besuchen. Also, seid brav. Morgen um dieselbe Zeit treffen wir uns wieder!“
Die Fee war verschwunden und Barbara ging zur Tür hinaus, um das Blech mit den Krapfen in den großen Steinofen auf dem Hof zu schieben. Das Kätzchen leckte sich die Pfötchen und das Feuer prasselte lustig unterm Kessel. Und die Kinder? Die saßen still auf der Bank und strahlten. Die Vorfreude auf den Weihnachtsmann stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

Fortsetzung folgt …





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 08.12.2017
Kategorie: Märchen & Fabeln

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