Auf-/zuklappen

Szenen aus einem Land ohne gültigen Friedensvertrag...

Gabyi - 2004

Gestern Abend war ich mal wieder einkaufen am Ku'damm.
Ich ging ins Europacenter und musste feststellen: viele der alten Läden hatten zugemacht wegen Insolvenz und die wenigen übrigen lockten mit Supersonderangeboten. Bei Lior-Outlet erstand ich ein lila T-Shirt mit einem Kreuz aus silbernen Pailletten. Für läppische 3 Euro. Nach Feilschen versteht sich.
Auf dem Nachhauseweg wollte ich noch ein Foto machen. Für meine Serie: Stätten, die es bald nicht mehr gibt. Wegen Abriss oder dergleichen. Ich habe diese Fotoserie begonnen, nachdem ich irgendwann festgestellt hatte, dass viele meiner bevorzugten Motive nach kurzer Zeit dem Abriss anheim fielen oder zusammenbrachen oder ähnliches...
Ich fischte also meine Digitalkamera aus dem Rucksack und hatte den schäbigen Ausgang des U-Bahnhofs Kurfürstendamm im Visier. Ein kleiner Ausgang, eingeklemmt zwischen 2 Häusern, dort, wo noch vor Kurzem ein C&A-Gebäude abgerissen worden war.
Als ich auf das Display schaute, tippte mir jemand auf die Schulter.
Ein Polizist. Typischer Berliner Beamter, der seiner preußischen Pflicht nachkommt. Er muss wohl aus einem Gullydeckel aufgetaucht sein, denn ich hatte ihn nicht bemerkt und ich hatte eigentlich zuvor die Umgebung sorgfältig abgescannt.
"Es ist nicht erlaubt, U-Bahnhöfe zu fotografieren. Wozu brauchen sie denn überhaupt das Bild ?"
"Nun ja, bevor es diesen Ausgang nicht mehr gibt, als Andenken sozusagen"
antwortete ich unbefangen und machte mich gerade hochverdächtig. Landesverrat gepaart mit Terrorverdacht. Auf der Straßenseite gegenüber befindet sich eine Polizeiwache mit etlichen Polizeiautos, die am Straßenrand parken.
Er wollte nun das Bild sehen. Ich hielt ihm meine winzige Camera mit dem mikroskopisch kleinen Display vors Gesicht, doch er winkte entnervt ab. Linsentrübung gepaart mit Winkelfehlsichtigkeit vereitelten die Sicht. Ich konnte weitergehen.
Wohlgemut schlenderte ich die Joachimsthaler Straße Richtung Bundesallee nach Hause. Am U-Bahnhof Spichernstraße machte ich Halt wegen eines weiteren Bildes für meine Sammlung des Untergangs. Hier gab es keine Polizeidienststelle und düstere Gestalten lungerten am Straßenrand.
Hier, nur eine Ecke weiter, steht auch meine Lieblings - Currywurstbude, eine der letzten dieser Art, die schon bald geschlossen werden soll. Obwohl sie floriert, aber weil der Senat es so will und ganz entgegen der Meinung des Volkes. Etliche Unterschriftenlisten, auch von vielen Prominenten, sprechen Bände.
Ich wohne übrigens in einer Gegend, wo die Mieten explodieren...





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 29.05.2004
Kategorie: Aktuelles & Zeitgeschehen

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