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Das Geheimnis der Purpurmuschel - Meine Moleküle

Gabyi - 2006

Das Element Brom wurde erstmals aus Meeresalgen isoliert und fristet noch heute in der Purpurschnecke sein verbotenes verborgenes Dasein. Eine heimliche und außergewöhnlich geheimnisvolle Existenz, während der größte Teil des Bromes profan als gelöstes Bromid im Meerwasser schwimmt.
Verbotene Existenz deswegen, weil das Brom eigentlich gar nicht an den Stellen sein darf, wo es doch am Ende steht: an den Plätzen 6 und 6', denn Purpur ist nichts weiteres als das 6,6'-Dibromderivat vom blauen Indigo, dem Farbstoff, mit dem immer noch Bluejeans gefärbt werden.
Denn die im Mittelmeer lebende Purpurmuschel trägt in ihrer Hypobronchialdrüse eine Vorstufe des Farbstoffs 6,6-Dibromindigo, einer gelblichen Flüssigkeit. Sie lebt tief unten am Meeresboden und ernährt sich von Schnecken, Muscheln und Aas. Räuberisch und dennoch langmütig abwartend. Ohne Arg zwar aber dennoch eine Raubmuschel. Und noch nicht einmal rot auf den ersten Blick.
Purpurmuscheln wurden früher zerstampft, tagelang in Salz eingelegt und die Masse mit Urin eingekocht. Erst am Lichte entwickelte sich der Farbstoff in einer enzymatischen Reaktion von gelb nach rot - und es entstand ein ekelerregend widerwärtiger Geruch.
Es ist nicht nur bemerkenswert, in der Natur eine Bromverbindung zu finden, auch sitzen die Bromatome an Stellen des aromatischen Ringsystems, die den chemischen Substitutionsregeln diametral widersprechen.
Die C=O-Gruppe wirkt meta-dirigierend während die NH-Gruppe wiederum ortho-,para-dirigierend ist. Daher würde zuerst die 5,5'-Stellung substituiert werden.
Die chemische Synthese des Purpur wäre sinnlos oder viel zu teuer.
Fast alle Halogenderivate verschieben den Farbton des Indigos ins Grünliche, nur bei der Position der Bromatome im Purpur wandelt sich die Farbe ins Rötliche. Die geschichtlich - kulturelle Extrastellung des Purpur ist also auch aus naturwissenschaftlicher Sicht mehr als begründet. Das leuchtende Purpurrot galt im römischen Reich und bei deutschen Kaisern und Kardinälen als Symbol von Macht. Nebenbei bemerkt: Brom ist auch giftig.
Aber warum sich die Bromatome in der Purpurschnecke den geltenden Substitutionsregeln widersetzen, bleibt weiter unklar. Zu hoch der Druck am Meeresboden vielleicht ?
Und was sagt die Purpurschnecke dazu ? Sie schweigt lieber - und stellt doch weiter die äußerst geringe Menge an Farbstoffvorstufe her. Da in der Muscheldrüse nur ein winziger Tropfen der gelblichen Flüssigkeit existiert, woraus am Ende der Farbstoff gewonnen wird, benötigt die Herstellung eines Gramms reinen Farbstoffes cirka 8000 Schnecken.
Das sind 8000 unwiederbringlich ausgelöschte Leben. Für immer.
Doch zum Glück gibt es kein römisches Reich mehr und auch keine deutschen Kaiser. Die Muschel kann sich freuen und weiter ihr tiefrotes Geheimnis am Meeresgrund hüten, warum wohl der Farbstoff existieren mag ...


aus: "Gabyi's Moleküle"





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 02.11.2006
Kategorie: Kurzgeschichten

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