Korell und Sekottis

Als ich noch ein Kind war, habe ich mich brennend für Krankheiten interessiert. Ich kannte sie alle, die Leiden und Gebresten, mit Namen versteht sich. Sie hießen Kinderlähmung, Pocken, Diphteritis, Scharlach, Krebs und Schlaganfall. In meinem Elternhaus mit den vielen Tanten und Onkeln und Omas und Opas war das nicht schwer und ein Gesundheitslexikon im Bücherschrank meiner besten Freundin machte das Wissen komplett. Ich kannte alle Symptome wie rote Flecken, Fieber, Bauchschmerzen, Übelkeit und Husten.
Die passenden Krankheiten dazu waren Masern, Blinddarmentzündung und ...schluck. Wie hieß es denn nur, wenn einem schlecht war und man kotzen musste ? Es gab keinen Namen dafür. Ich erfand ihn also, es hieß ab jetzt Sekottis. Und auch die weißen Hautblasen im Sommer auf meinen Fußsohlen konnte ich nicht benennen, ich taufte sie Korell. Diese Krankheiten gehörten nun mir ganz allein. Ich hatte sie sozusagen erfunden.
Mein Wissen leistete mir auch sonst gute Dienste. Bei Blindarm tat es rechts weh, So konnte ich bei Bauchschmerzen sagen, wenn meine Mutter mich zum Arzt schleppte: links. So entkam ich mehrfach dem Krankenhaus und verbrachte stattdessen einige Todesnächte, in denen ich darauf wartete, dass mein Blindarm rechts platzt.
Denn ich hatte schon einige schreckliche Erlebnisse hinter mir, die mein Vertrauen in die medizinische Kunst nachhaltig erschüttert hatten.
Menschenrechtsorganisationen echauffieren sich über die Klitorisbeschneidung. In der westlichen Hemisphäre neigt man wiederum zu oft überflüssigen Organbeschneidungen, über die sich aber kein Mensch aufregt und die nur die Kassen füllen sollen. Polypen, Mandeln, Vorhaut, Uterus, Blinddarm und Weisheitszähne.
Und genau genommen gehören sogar die Haare dazu.