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Die Bootsvermietung - Teil I

Gabyi - 2007

Flensburg ist eine schöne Stadt an der Ostsee. Das herausragende Merkmal, an das sie sich gern erinnerte, war das Nordertor, ein schönes altes Tor aus Backstein erbaut. Als ehemaliges Stadttor war es ein Teil der alten Stadtmauer. Heute ist es das Wahrzeichen der Stadt.
Ihre Tante Else wohnte später direkt in diesem Tor, aber das war nach der Zeit ihrer Besuche bei ihr. Zu der Zeit, als sie öfter ihre Ferien bei ihr verbrachte, lebte die Tante noch in einem etwas heruntergekommenen mehrgeschosssigen Mietshaus in der Steinstraße, in dem es nach altem Kohl und muffigem Bohnerwachs roch, und wo sich viele Mietsparteien ein einziges WC im Erdgeschoss des Treppenhauses teilen mussten.
Als sie das allererste Mal ihre Sommerferien hier verbrachte, war sie noch keine zehn Jahre alt. Ihr erster Weg vom Bahnhof durch das Tor bis zur Wohnung ihrer Tante entlang der Hauptstrasse hinterließ einen nachhaltigen Eindruck bei ihr. Er war so intensiv, dass sie in den nachfolgenden Herbstferien, als sie nicht mehr vom Bahnhof abgeholt worden war, den Weg in die Steinstraße schon ganz allein fand. Parallel zu den Schienen der klingelnden Straßenbahn und nur mit einem kleinen braunen Koffer in der Hand.
In den Sommerferien jedoch erstrahlte der Himmel noch in leuchtendstem Blau, als ihre Tante sie vom Bahnhof abholte und die Ferien konnten endlich beginnen. Zuerst bekam sie ein dänisches Eis gekauft. Das war nicht irgendein Eis, sondern eine sahnige Offenbarung, gekrönt mit einem Negerkuss, der Gammeldag hieß. Es schmeckte einfach nur himmlisch und war von einem ganz speziellen, typisch dänischen Vanille-Aroma erfüllt.
Es gab auch einen entsprechenden Onkel zur Tante. Er hieß Onkel Peter und war ein "Onkel Einar". Jedes Kind kannte Onkel Einar aus "Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv" von Astrid Lindgren, über Onkel Peter wurde weit weniger gesprochen. Sie hatte etwas Angst vor ihm und ging ihm meist aus dem Weg. Einmal zum Beispiel rief er ganz laut
"Musik, oder ich pup' in die Stube!".
Oder manchmal, wenn er im Bett lag (es gab kein spezielles Schlafzimmer), lugte sein mageres nacktes Hinterteil seitlich aus der Bettdecke heraus, das fand sie alles sehr, sehr seltsam. Aber man konnte sich mit ihm auch arrangieren, wenn man ihn kannte. Manchmal saß sie sogar auf seinem Schoß und er übte Kopfrechnen mit ihr. Das tat ihr Vater niemals, denn Mathematik war ihm zu minderwertig gegenüber den edlen geistigen Fächern wie Latein und Griechisch. Dass er eine Niete war in Mathe, ging ihr erst allmählich auf.
Onkel Peter dagegen war Bauunternehmer gewesen, aber leider ein Bankrotteur. Seine Firma hatte Konkurs gemacht und nun besaß er nur noch eine Bootsvermietung, natürlich selbst erbaut und direkt an der Flensburger Förde. Gegenüber der Marineschule Mürwick und ganz nah an der Seebrücke und der dänischen Grenze.
Alles an der Bootsvermietungsanlage hatte er selbst gebaut. Das Bootshaus aus hellgrün gestrichenen Holzplanken und die Ruderboote in verschiedenen Größen in leuchtendem Rot und Blau. Und nicht zu vergessen die Riemen, so hießen die Paddel für Ruderboote, darauf pochte der Onkel immer wieder beharrlich. Ruder hießen sie nicht, das war die Steuervorrichtung hinten am Boot. Den Befestigungsmechanismus der Riemen am Boot hatte er übrigens eigenhändig erfunden und wollte darauf auch ein Patent anmelden. Hiermit also bestritten die beiden im Sommer ihren Lebensunterhalt. Und wenn das Mädchen in den Ferien zu Besuch war, half es mit, so gut es ging.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 01.08.2007
Kategorie: Kurzgeschichten

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