Auf-/zuklappen

Das wogende Schilfrohr (Noor)

Gabyi - 2003

Angst - Part I

Am Ufer des Noors wogte das meterhohe Schilf und ihre Angst vor Wendeltreppen wuchs wieder wie ein böser Drehwurm in ihr empor. Uferröhricht wie Schilf und Schwanenblumenröhricht trugen bei zur Verlandung des Gewässers und Scharbockskraut oder Sumpfdotterblumen wuchsen hier an manchen Stellen. Doch wenige andere Pflanzen konnten im Röhricht noch leben. Denn nur im Frühjahr drang genügend Licht zum Boden hinunter, so dass auch Blüten zwischen den toten Halmen wachsen konnten. Wo das Röhricht lichter war, fand man im Sommer auch manchmal Wolfstrap und Zaunwinde. Das Schilf selbst indes raschelte böse und es wisperten die Halme von noch dunkleren Zeiten.

Wenn sie es gar nicht mehr aushielt, zog es sie magisch an diesen Ort. Sie ging den langen, einsamen Weg um den See herum und hoffte, so die Angst durch Bewegung zu besiegen. Doch die Wendeltreppe war immer bei ihr, stand immer vor ihren Augen. Drehschwindelattacken wirbelten im Kopf und die Helixachse des Geschehens bohrte sich vertikal durch den Wirbelkanal. Ihr Körper bebte, zitterte und schlotterte im Takte des schwankenden Röhrichts, während sie auf tönernen Füßen unsicher den Weg entlang wankte.

Das Leben fand anderswo statt, nur nicht an diesem Ort. Die letzten Schwäne waren schon lange verschwunden, kurz nachdem der Schwanenvater an Altersschwäche gestorben war. Er hatte viele Jahre lang die Vögel mit dem altem Brot aus Bäckereien gefüttert, nun aber hatten sie sich ein neues Revier gesucht. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte er einmal zu ihr gesagt:

"Verschimmelt ist nicht das Brot, verschimmelt ist dein Gehirn ..."

Damals hatte sie den Schimmel am Brot bemerkt, als sie es auf seinem Fahradgepäckträger liegen sah. Sie hatte es ihrem Bruder auf dem Schulweg zugerufen und der Schwanenvater hatte es mitangehört.

Und das hatte sie nun davon.

Doch am Grunde des Noors sollen sich neuerdings auch Zuckmückenlarven, Würmer, kleine Krebse und Herzmuscheln tummeln und auf dem Noorgrund tost wieder das Leben. So hatte sie es jedenfalls in der Zeitung gelesen, aber erkennen konnte sie es noch lange nicht.

Nur hier und da sah sie manchmal im Frühling am Ufersaum schon die blasslila Kreuzblüten des Wiesenschaumkrauts sich sanft im Winde hin und her wiegen. Wann würde sie wieder leichtfüßig und unbeschwert am Ufer entlang tänzeln ?

Stattdessen saß ihr bis jetzt nur die Angst im Nacken...





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 31.10.2004
Kategorie: Kurzgeschichten

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