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Berliner StattPläne - Breitscheidplatz

Gabyi - 2008

Breitscheidplatz

Die ruinöse Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und der Wasserklops (Weltkugelbrunnen). Das Europacenter, extra so gebaut, dass es möglichst wenig Schatten auf die Tiere im Zoologischen Garten wirft.
Wer weiß noch, dass vor gar nicht langer Zeit im Hochhaus mit dem Mercedes-Stern die Berliner Spielbank residierte ? Und noch etwas früher sich im Erdgeschoss eine Schlittschuhbahn befand ? Es zog damals an dieser Stelle wie Hechtsuppe und es dauerte nicht lange und die Eisbahn wurde entfernt. Schade eigentlich.
Nun findet man hier einen riesigen Medienmarkt - und wo früher noch das Security-Personal der Spielbank schwangeren Frauen verbot, sich auf Steinvorsprünge zu setzen, lungern jetzt ungeniert schwarzafrikanische Drogendealer herum.
Schaut man vom Breitscheidplatz nordwärts, fällt der Blick auf ein langgestrecktes, flaches sechsstöckiges Baudenkmal, das sich bis zum Zoopalast hinstreckt, das so genannte "Bikinihaus". Der Name geht auf eine Luftetage des Gebäudes zurück, mit Durchblick zum Grün des Zoos. Der Durchbruch wurde 1978 geschlossen. Im Erdgeschoss ein wohlfeiler Buchladen - mit viel Laufkundschaft.
Der Autotunnel, Barriere zwischen Breitscheidplatz und Bikinihaus und ein Relikt aus dem alten West-Berlin, wurde 2005 zugeschüttet. Die letzte Durchfahrt war Dienstagnacht, 2005 - im April.
Mittleres Aufsehen erregte letztes Jahr ein Vergleich des Breitscheidplatzes mit dem Rollbergviertel in Neukölln, einem Berliner Problemkiez, in puncto Videoüberwachung. Man staunte: es gehe abwärts mit dem Platz, über Nacht wurde er 2006 vom Westberliner-Vorzeigeplatz zum Problemkiez erklärt (Charlottenburger Baustadtrat).
Und wer erinnert sich noch an Helga G., eine greise Vorreiterin von Charlotte R. - die seit 1982 fast täglich auf dem Breitscheidplatz vor der Gedächtniskirche saß, barfuß und mit einem Pappschild: „Fi**** ist Frieden". Jeder, der darauf einging, erfuhr etwas über Sex, Körper, weibliche Wollust und „übers Fi****". Kinder nicht ausgenommen, denn man kann gar nicht früh genug anfangen. Sie wohnte in der Schlüterstraße, schrieb Gedichte und lebt, nach einem Schlaganfall, jetzt im Pflegeheim.
Oder wer kennt noch Horst E., den zweifachen Weltmeister im Grimassenschneiden, der am Breitscheidplatz Touristen mit seiner Unterlippenakrobatik unterhielt ? Er starb 2006 direkt vor dem heimischen Spiegel beim Grimassenüben. Unheimlich, wie er seine Unterlippe bis hoch zur Nase zog.
Menschen und Originale wie diese, die großstädtischen Plätzen einen ganz eigenen matten Glanz verleihen, bleiben noch lange in Erinnerung. Länger jedenfalls, als guccitaschentragende, aufgetakelte Tussen oder plattgebügelte Anzugträger.

aus "Berliner StattPläne"





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 17.09.2008
Kategorie: Kurzgeschichten

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