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Seegras

Gabyi - 2004

Seegras


*Uraltes Mysterium Meer
birgst geheime Schätze - und
unten tief am dunklen Grund
schwimmen Fische leuchtend bunt
doch unerkannt flink hin und her*


Sie träumte oft vom weiten und wilden Meer ihrer Kindheit.
Geheimnisvoll und mächtig erschien es ihr dort. Und mysteriös war es nicht nur in ihren Träumen...
Es war ein vergleichsweise noch junges Meer - genau wie sie es war. Hier hatte sie als kleines Mädchen im flachen Wasser Aale mit bloßen Händen gefangen, Krebse in kleinen Eimern aus buntem, emaillierten Blech gesammelt und vergeblich versucht, Heringe zu angeln.
Grau war es manchmal und oft auch rau. Doch von einem umwerfend kristallklaren Blau, wenn eine strahlende Sonne es zum Glitzern brachte. Bei warmem Sonnenschein konnte die See fast sanft und mild sein, bei diesigem Wetter oder bei Nebel verschmolz sie mit dem Horizont in einem blassblau mattem Schimmer. Doch auch manche Sturmflut konnte sie aufwühlen und die Wasserpegel auf ungeahnte Höhen treiben, markiert an den Häuserwänden der Altstadt. Dann toste das Meer wild und wutentbrannt.
Es war ein kleines, eher unauffälliges Meer, unscheinbar fast, ohne größere Sensationen und heute ohne große Bedeutung. Doch in seiner spröden Schönheit und schlichten Anmut war es bisweilen überwältigend.
Mit Leuchttürmen und Steilküsten gesäumt, von Wellenbrechern und Molen gebändigt und mit Seebrücken und Seestegen geziert. Glitzernd und blau bei Sonnenschein, bleigrau und düster im Winter und bei schwerem Wetter. Auch grün erschien es dann und wann, wenn eine Algenplage im Sommer vom Mangel an Sauerstoff kündete.
Es wurde unentwegt von kreischenden Möwen überflogen, von U-Booten mit Torpedos an Bord unterminiert und war angefüllt mit versunkenen Wracks und chemischen Kampfstoffen aus den letzten Weltkriegen.
Von Quallenherden bedeckt konnte es sein, mit breiten Teppichen blauer Ohrenquallen oder roter Feuerquallen, wenn die Windrichtung oder die Meeresströmung es zuließen. Sandbänke luden ein zum Verweilen, zum Innehalten vom Schwimmen und zum Betrachten des Strandes. Und manchmal glitten wunderschöne weiße Schwäne in postkartenreifen Posen über das seichte Wasser.
Doch Seepferdchen und Seesterne sah sie noch nie hier und auch keine romantischen Muscheln mit ihren großen wunderschön rosa schimmernden Helixgehäusen. Auch Würfelquallen verirrten sich niemals in dieses Meer.
Stattdessen gab es jede Menge Krebse und unscheinbare kleinere schwarze und weiße Muscheln wie Miesmuscheln, die auch Pfahlmuscheln genannt wurden und blauschwarz oder bräunlich perlmuttfarben glänzten. Und weißlich-gelb gerippte Herzmuscheln, dreieckige rosa bläuliche Plattmuscheln sowie weiße Sandklaffmuscheln. Und Seepocken, versteinerte Seeigel, Seetang, Feuersteine und Donnerkeile, die fossilen Schalen urzeitlicher Tintenfische. Sie sollten vom Donnergott auf die Erde geschleudert worden sein und vor Hexenschuss schützen. Und natürlich konnte man auch gelb funkelnde Bernsteine finden, wenn man genau hinschaute.
Das alles gab es in aufgewühlt tosend blauer See, warm mit hohen Wellen bei Ostwind. Und in einem flachen, grauen, kalten Meer bei Westwind, so schneidend kalt, dass die Füsse blau anliefen. Es war das einzigartige Meer, in dem ihre Mutter als Kind das Totenkopf - Schwimmabzeichen abgelegt hatte. Und in dem sie bei 16 Grad Celsius durch die Wellen zur roten Ringelnatter schwamm, einer Boje, die weit draußen in der Bucht lag, während ihre Kinder am Strand stundenlang auf ihre Rückkehr warteten.
Genau so kannte sie ihr Meer und sie liebte es dafür. Es gab ihr Schutz und Sicherheit und nur in seiner Nähe konnte sie tief durchatmen. An der frischen Seeluft, am weißen Strand und nachts auf der kleinen, durchgelegenen Matratze in ihrem Kinderbett, gefüllt mit angespültem, getrockneten Seegras, das früher einmal als Füllmaterial für Bettunterlagen verwendet wurde.
Seegras - die einzige Blütenpflanze der Ostsee.
Auf seinen Blütenblättern ausgestreckt und sicher ruhend auf seinen Blättern und Wurzeln, fiel sie im Sommer mehr als einmal in einen von Nesselquallen und Sonnenbrand fiebrigen, salzig-süßen Schlummer, bevor die peitschenden Sturmwinde kamen, und bevor sie von der Brandung aus riesigen, turmhoch tosenden Wellenbergen mit tanzenden weißen Schaumkronen verschlungen wurde in die dunkelsten Tiefen der Baltischen See....




Herz aus Bernstein

auf weiß geriffelten Herzmuschelbänken - liegen
mit goldgelb funkelnden Bernsteingeschenken - fliegen
Seegräser sich um die Füße schlingen
goldene Herzen am Strand
von bleiern zu quecksilbrig flink sich schwingen
leichtfüßig Schritte im Sand

29° im Schatten, morgens





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 14.12.2015
Kategorie: Kurzgeschichten

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