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schaurige Kommoden - (History)

Gabyi - 2014

Schaurige Kommoden

Als kleines Mädchen ging ich auf eine Mädchenschule, die nur für Mädchen erlaubt war, Jungen hatten keinen Zutritt. Sie mussten sich mit ihrer grobschlächtigen Rabaukenschule begnügen, in der sie geprügelt wurden. Wahlweise mit einem Stock auf den Hosenboden oder mit einem Lineal auf die Hände. Ihr Lehrer hieß passenderweise Unverhau.
Ich weiß das so genau, weil ich in der vierten Klasse in die Jungenschule wechseln musste, da unsere Mädchenschule geschlossen wurde. Dort galten jetzt ähnliche Regeln auch für uns Mädchen, nur unsere Hinterteile blieben verschont.
Meine Mädchenschule hieß sinnigerweise "Mädchenbürgerschule" und meine Klassenkameradinnen kamen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten. Fischerkinder, Barackenkinder (Flüchtlingskinder), Kaufmannskinder.
Einige rochen streng und waren mit einer dunklen Schmutzschicht überzogen, andere waren hübsch und adrett gekleidet. Ich bewegte mich im Mittelfeld, dachte ich wenigstens. Wahrscheinlich stank ich auch, denn wir hatten kein fließend warmes Wasser und ein Plumpsklo, das einmal in der Woche geleert wurde und für 12 Personen herhalten musste.
Mein Schulweg zur Mädchenschule führte mich durch einen schmalen Gang an einem kleinen Möbelgeschäft vorbei. Ich konnte noch nicht lesen und wusste demzufolge weder wie das Geschäft hieß noch was hier verkauft werden sollte. Jedesmal wenn ich an dem Laden vorbeiging, ergriff mich ein seltsam beklommenes und ungutes mulmiges Gefühl. Ich konnte die ausgestellten Möbel nicht einordnen in meinen Erfahrungsschatz. Sie sahen dunkelbraun oder hellbraun aus mit Verzierungen aus Metall, glänzend oder matt. Mein Opa hatte in seinem Zimmer ähnlich aussehendes Mobiliar. Kommoden, einen Spiegelschrank und ein altes barockes Sofa. Aus dunkelbraun glänzendem Mahagoniholz gefertigt.
Einmal, als ich mit meiner Mutter in der Gasse an diesem Laden vorbeiging, fragte ich sie, nachdem ich all meinen Mut zusammengenommen und mir ein Herz gefasst hatte:
"Mami, was sind denn das da für schaurige Kommoden ?"
"Das sind doch Särge, weißt du das denn gar nicht ?"
antwortete sie barsch.
In meiner Vorstellung waren Särge aber immer würfelförmige Raumgebilde gewesen, nachdem ein Nachbarehepaar bei einem Autounfall ums Leben gekommen war und einen kleinen Sohn hinterlassen hatte. Sie wurden in einem Doppelsarg bestattet erzählte man in der Stadt.
Für mich brach eine kleine Welt zusammen.
Meine ruppige Mutter seifte uns drei Kinder einmal in der Woche am Sonnabend immer von Kopf bis Fuß am ganzen Körper ab. Mit warmem, im Teekessel erhitzten Wasser und Waschlapppen.
An den intimen, exponierten Stellen fühlte es sich besonders unangenehm an und es roch nach Fisch.
Und jetzt auch noch diese gruselige Nachricht. Särge sind nicht würfelquadratisch.
Sondern schlimmer noch, es sind schaurige Kommoden.
Nach der gründlichen Reinigung verpasste meine Mutter uns blütenweiße frische Unterwäsche, die bis zum nächsten Sonnabend vorhalten musste. Dann war ihr Geruch schon etwas fahl.
Ob es so auch im Sarg roch ?





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 30.01.2014
Kategorie: Tod & Verlust

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