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Berliner StattPläne - Lüderitzstraße, Café Kohlenkeller

Gabyi - 2005

Die Firma, in der ich seit Längerem arbeite, ist kürzlich umgezogen.

In die Slums wäre übertrieben zu behaupten, aber auf dem Weg dorthin käme der Sache schon näher. Parkplätze sind - im Gegensatz zur früheren Adresse - im Überfluss vorhanden. Es handelt sich um einen Bezirk in Berlin(West), der schon seit einigen Jahren immer wieder gern von der Presse als Kriminalitätsschwerpunkt und ghettoverdächtig bezeichnet wird. Immerhin sind die hohen Decken der Firmenräume mit Stuck verziert und das Treppenhaus wird täglich von einer Reinigungskolonne geputzt. Die Straße ist noch - wie schon um die vorletzte Jahrhundertwende - mit klöppeligen Kopfsteinen gepflastert.

Und auch im Jahr 2005 tost hier das Leben auf den Klöppelsteinpflastern. Heute Morgen zum Beispiel lieferte sich die Polizei mit schrillem Tatü-Tata eine wilde Jagdszene mit unseren Nachbarn, die mit Festnahme und Handschellen endete. Zur würdigen Feier des Triumphes wurden sofort ein paar Tische und Stühle aus dem Nachbarhaus gezerrt und die Verhaftung gebührend mit Tee und weiteren Getränken begossen. Vom Balkon aus hat man einen exzellenten Ausblick auf die Straße hinunter.

Schräg gegenüber vom Haus, in das meine Firma gezogen ist, befindet sich eine von mehreren Kneipen. Ihr Name "Café Kohlenkeller" hat mich auf unerklärliche Weise fasziniert, und so ging ich nach Dienstschluss an ihrer Tür vorbei, um vielleicht einen Blick hinein zu werfen. Doch die Tür blieb leider geschlossen. Stattdessen las ich am Eingang die folgende Beschriftung auf einer Papptafel:

"Warnung! Bei uns landen nur Idioten. Wir haben dich gewarnt."

Ein paar Häuser weiter kam ich an einer orientalischen Kuchenbäckerei vorbei mit köstlich anmutenden Gebäckstücken in der Schaufensterauslage, gar nicht teuer und nach Gewicht zu berechnen. Das gefiel mir außerordentlich, denn ich fand es schon als Kind ungerecht, von den Verkäuferinnen immer die kleinsten Kuchenstücke eingepackt zu bekommen - für einen Einheitspreis. Ein Duft nach Nüssen, Mandeln und seltsamen Spezereien wehte in meine Nase. Ich beschloss, auf jeden Fall am nächsten Tag hier einzukaufen. Und ich nahm mir vor, demnächst meinen Chef in die Kneipe einzuladen.

Er hat vor Kurzem fast seine gesamte Belegschaft entlassen und seinen Firmensitz aus Kostengründen in einen anderen Bezirk verlegt, wegen günstigerer Miete. Die Konkurrenz der "Ich-AG's" machte ihm am Ende das Leben doch sehr zur Hölle und die Abgaben an das Finanzamt hatten sich gegenüber dem Vorjahr dramatisch erhöht. Am Ende musste seine Firma auch noch eine seiner weiblichen Angestellten (24) mutterschutzmäßig mit durchfüttern, die eine Woche, nachdem er sie für die Hotline eingestellt hatte, schwanger geworden war. Durch künstliche Befruchtung, wie spätere Recherchen ergaben.

Ich glaube, er wird sich wohlfühlen im Café Kohlenkeller, auch wenn ich es von innen noch nicht kenne. Ich bin sogar fast sicher...


aus "Berliner StattPläne"





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 15.01.2005
Kategorie: Aktuelles & Zeitgeschehen

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