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Berliner StattPläne - Welches Geräusch macht der Gasometer ?

Gabyi - 2006

Eine seltsame Frage, zugegeben.
Doch für mich war die Antwort so dringlich, dass ich kurz davor stand, eine e-mail an die GASAG zu schicken. Das ist sozusagen die Berliner Gasanstalt (falls sie nicht inzwischen an Wattenfall verkauft wurde).
Wenn es mir nur nicht so peinlich gewesen wäre. Was sollen die denn von mir denken, dass ich mich mit solch wunderlichen Absurditäten beschäftige.
Jetzt möchten Sie aber bestimmt wissen, wieso in aller Welt mich so eine Lappalie überhaupt interessiert.
Nun, es ist relativ einfach.
Beim Betrachten alter Fotos stolperte ich vor Kurzem zufällig über den Gasometer meiner Kindheit. Mein bester Freund Harry, mit dem ich die Bilder betrachtete, wurde plötzlich ganz sentimental, kennst du es noch, das Geräusch, schwärmte er.
Quatsch, das bildest du dir ein. Aber was meinst du denn für eins, fragte ich zurück. Man will ja nicht als rechthaberisch gelten.
So ein dumpfes Klacken mit Infraschall vom Gasbehälter.
Aber so sehr ich auch versuchte, mich zu erinnern, nichts, aber auch gar nichts war in meiner Erinnerung gespeichert.
Wir blätterten also weiter in alten Urlaubsfotos aus Florida - und zogen danach noch um die Häuser.
Und am nächsten Tag, da plötzlich glaubte ich mich erinnern zu können. Erst vage vernahm ich es, dann aber ganz klar und deutlich hinter den Ohren.
Ich hörte das spezielle Geräusch, welches in größeren Abständen ertönte - ähnlich dem dumpfen Klicken eines überdimensionierten Relais' oder dem pneumatischen Schalten einer fernen Funkenstrecke.
Ja, ganz genau so war es gewesen.
Vor meinem Auge erschien es wieder, das schwarze, metallfiligrane Rondell mit Zylinder, dessen Hübe sich je nach Füllungsgrad teleskopartig zusammen schieben oder auseinander ziehen konnten. Ich fasste mir an den Kopf. Es war ein Teleskop-Gasometer, wie konnte ich das nur vergessen haben.
Ich rief sofort meinen Freund an und entschuldigte mich reumütig.
Aber um ganz sicher zu gehen, möchte ich noch eine Geräusch-Datenbank zu Rate ziehen.
Sagte ich ihm.
Und wenn ich es dort wiederfinden sollte, werde ich es vielleicht einbauen in ein Videoclip.
Damit es nicht in Vergessenheit gerät, was doch wirklich schade wäre.


Nachtrag:
Nicht nur das alte Geräusch des Gasometers, nein auch das imposante Bild des schwarzen Zylinders ist unwiederbringlich für immer der Erinnerung entschwunden. Auch die schwarzweißen Photographien können es in seiner beeindruckenden Vollkommenenheit nicht mehr zurückbringen. Sein Auf und Ab, mit dem es lebte. Lebte, wie ein immerwährendes Ein- und Ausatmen, wie die vitale Kapazität in einer Lunge. Ein riesiger Rundturm, der Nachts verschwindet und tagsüber wieder emporgeblasen wird. Nun ist nichts weiter als die Hülle übrig geblieben. Silbermetallfiligran - immerhin - und neuerdings auch - unfassbar - steht er als Behälter für billige LED-Reklame.
Wenn er dass wüsste, dann würde er lauthals stöhnen oder brüllen. Mit all seiner Vitalkapazität der eisenen Lunge.
(Das Gasometer in Berlin-Schöneberg hat 1995 seinen Betrieb als Gaslieferant mit der Einführung von Erdgas endgültig eingestellt. Seine neueste Nutzung: Anschaffengehen mit Leuchtreklame



aus "Berliner StattPläne"





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 13.01.2006
Kategorie: Kurzgeschichten

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