Sylter Elegien II (History)

Sylter Elegien II

Das blau gemusterte Friesengeschirr meiner Tante Inge aus Westerland. Es wurde schon häufig kopiert und noch heute kann man es in Ost- und Nordseebädern kaufen. Auch bei Tschibo und im Otto-Katalog habe ich es schon gesehen. Teller, Tassen, Untertassen, Sahnekännchen, Zuckerdose und Teekanne. Meine Tante bereitete mir zum Frühstüch Schokolade, die sie mir in einer solchen Tasse anrührte, mit Zucker, Kakao und Wasser gemischt. Wohl, weil meine Mutter ihr gesagt hatte, dass ich keine Milch mag. Sehr viel später sollte sich herausstellen, dass eine genetisch bedingte Laktoseintoleranz der Grund war.
Zum Kakao gab es Brotscheiben mit Zucker bestreut. Was wollte das Herz mehr ?

Nach dem Essen durfte ich dann nach draußen gehen zum Spielen. Nicht wie bei mir zu Hause, wo meine Mutter mir nicht erlaubte, mit den anderen Kindern aus der Straße zu spielen. Weil wir "was Besseres" waren, wie sie es uns in subtiler Weise vermittelte. Die Eltern der Kinder, vorwiegend Handwerker oder Flüchtlinge, waren nicht standesgemäß. Mein Vater dagegen arbeitete auf dem Finanzamt. Er hieß bei den anderen Kindern nur "Der Professor".
Die Kinder in der Deckerstraße in Westerland waren entweder ebenbürtig oder Tante Inge fehlte nur die Überheblichkeit meiner Mutter. Ich wurde sofort von ihnen akzeptiert und ohne Zögern in ihre Gruppe integriert.

Ein Mädchen war dabei, das wohnte im Haus gegenüber, ein helles und eher schlichtes Gebäude, kein Reetdachhaus. Es hatte eine Behinderung und benutzte einen Gehstock. Es sagte immer wieder zu mir: "Du darfst mich zweimal hinschubsen" und "ich sag's auch nicht meiner Mutter." So lange lag sie mir in den Ohren, bis ich es endlich tat.
Sie verpetzte mich natürlich und ich hatte meine erste Erfahrung gesammelt. So funktioniert Leben.
Dann gab Tante Inge mir ein rotes Auto aus Metall, mit dem ich über den Hof düsen konnte. Zu Hause hatte ich nur einen langweiligen Puppenwagen. Ich war stolz und überglücklich.