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Moutonette unterm Eiffelturm

Gabyi - 2005

Der Eiffelturm war für beide das Sinnbild von Paris.
Vom alten Paris, dem Paris der Markthallen, in denen man Bouillabaisse oder Zwiebelsuppe mit Croûtons und Käsegratin verspies, die traditionell zwischen Mitternacht und Morgengrauen in den Pariser Hallen genossen wurden, und dem Paris der Bastille - natürlich.
Moutonette erinnerte sich noch gut an ihren ersten Frankreich-Besuch, damals waren sie mit der Eisenbahn zum Gare du Nord gefahren im Rahmen eines Schüleraustauschprogramms zur deutsch-französischen Freundschaft. Nach einer schlaflosen Nacht im Zug hatte ihr Lehrer sie und ihre Mitschüler völlig übernächtigt am Morgen in ein Bistro am Bahnhof geführt. Dort hatte sie zum ersten Mal ein echtes Croissant mit bloßen Augen gesehen, verlockend goldgelb in einem Korb wartend. Da war ihr das Wasser im Munde zusammengelaufen, doch niemand wollte eines bestellen.
Heute frühstückte sie lieber mit ihrem Liebhaber bei Mc Donalds. Zookekse - zum Beispiel - mit einem Pappbecher Cappuccino, das war weitaus günstiger, als in ein Bistro zu gehen. Allein schon das Trinkgeld.
Der Eiffelturm schien aus der Ferne von Sonne durchflutet wie von photonischen Kristallen exotischer Schmetterlingsflügel periodisch moduliert. Durch die metallene Gitterstruktur tanzten irisierende Strahlen und warfen Muster auf die Straße.
Moutonette schüttelte kurz den Kopf hin und her, um den visuellen Cortex zu justieren und eine klarer Sicht zu provozieren. Normalerweise kannte sie diesen Effekt nur von der grünschillernden Iris ihres Liebhabers in manchen seltenen Momenten.
Es half nicht. Das Flirren blieb.
Seine schlanke hochgewachsene Gestalt, das glänzende schwarze Haar und ebenmäßige weiße Zähne unter vollen Lippen hatten ihr von Anbeginn gefallen. Wie Alain Delon hatte eine Freundin zu ihr gesagt. Konnte man sich darauf was einbilden heutzutage ?
Moutonette war neben seinem sanften Blick auch ein gewisses kämpferisches Naturelle aufgefallen, gepaart mit einem hohen IQ. Darauf legte sie besonders großen Wert. Schon immer. Seit sie in ihrem Elternhaus gegenüber zwei dümmeren Brüdern intellektuell unterschätzt und missachtet worden war. Auch das Wesen der Brüder gebärdete sich gröber, die Figuren plumper und die Sitten roher. Den Eiffelturm hatten sie niemals in Wirklichkeit zu Gesicht bekommen, schon allein wegen mangelnder Französischkenntnisse nicht. Das war Moutonette mehr als Recht, so hatte sie etwas ganz für sich allein.
Sie nahm den Liebhaber an die Hand und zog ihn über das Marsfeld bis unter den geschwungenen Metallturm. Sie küssten sich silbern in einer edlen Umarmung. Aus irgendeinem Lautsprecher ertönte Roxette "It must have been love".





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 19.11.2005
Kategorie: Kurzgeschichten

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