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Berliner StattPläne - Der graue Turm am Toteisloch

Gabyi - 2007

Der graue Turm am Toteisloch

Es war einmal ein hoher schmaler grauer Turm in der Nähe vom Grunewaldsee und ganz nah an einem Toteisloch, von denen im Berliner Urstromtal etliche zu finden sind. Vielleicht diente der Turm der Vorbeugung von Waldbränden oder war von US-militärischer Bedeutung. Man wird es wohl nie mehr erfahren, denn Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde er abgerissen, nachdem die amerikanischen Besatzungstruppen Berlin verlassen hatten.
An diesem Turm wollten sie Fotos machen für einen Kundenauftrag. Das Thema lautete "Mann in Frauenkleidern" und sollte 200 DM einbringen. Es war hart verdientes Geld, aber der Professor war ein Stammkunde. Er galt als voyeuristischer Fetischist oder fetischistischer Voyeur und seine Frau hatte ihn schon etliche Male in Therapien gesteckt, jedoch vergebens. Er wurde immer wieder rückfällig. Auch diese Fotos sollten ihr wieder in die Hände fallen, als sie später den Computer ihres Mannes Staub wischte und ein Deckel abfiel, unter dem die Bilder versteckt waren.
Als der Turm aber noch an seinem Toteisloch stand, da begab es sich, dass ein großer, schlanker Mann in einem kurzen, roten Rock und in langen silbernen Stiefeln gemeinsam mit seiner Fotografin Bilder schossen. Spiegelreflex vom Feinsten. Er drapierte sich malerisch um das hohe Gebäude herum in wechselnden Posen. Mann war hier eigentlich ungestört. Normalerweise.
Doch heute sollte alles anders sein. Ein raues Gebell zerriss die sanfte Atmosphäre am Grunewald und eine riesige schwarze Töle stürmte den angedeuteten Weg entlang. Der Hund nahm Besitz vom Turm und jagte den Mann im Rock, der Angst vor schwarzen Hunden hatte, rundherum und wieder zurück. Sein hinzu kommendes Frauchen sah sich das Geschehen ungerührt an. Sie wagte nicht einmal einen zaghaften Versuch, das Tier zurück zu pfeifen.
Der Mann aber versuchte, sich schnell hinter dem Betonriesen zu verstecken und wünschte sich, in einem tiefen, dunklen Erdloch zu versinken. Dann verschwand der Spuk genau so schnell wie er gekommen war - im Nichts.
Der Professor aber musste einen Zuschlag von 100 DM drauflegen. Schmerzensgeld, wie man ihm mitteilte.


aus: "Berliner StattPläne"





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 30.10.2007
Kategorie: Kurzgeschichten

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