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Die Bootsvermietung - Teil II

Gabyi - 2003

Wenn das Mädchen in den Ferien zu Besuch war, half es mit, so gut es ging.
Dann musste sie natürlich auch adrett aussehen und dafür waren ihre Feinripphöschen und Unterhemden nicht so sehr geeignet. So kaufte ihr Tante Else nach einem ertragreichen Tag in der Bootsvermietung sofort großzügig eine rosengeblümte Unterwäschegarnitur bei Kepa, das war so etwas wie Woolworth. Das Mädchen war sehr stolz darauf, so etwas kannte sie noch nicht. Doch als sie wieder zu Hause war, verschwand die Unterwäsche gleich in der Versenkung, denn ihre Muttter befand sie für zu billig. Aber in Wirklichkeit sahen Hemdchen und Slip viel schöner aus mit den rot-orangenen Rosen darauf als ihre langweilige Feinripp-Unterwäsche von Schiesser.
Aber vorher stand sie noch oft in diesem Dress draußen am Steg, um den Kunden die Boote auszugeben. Dazu musste sie auf gelbe Zettel mit Durchschlag allerlei Daten eintragen und sie mit Geldbetrag, Namen, Uhrzeit, Personenzahl, Bootsgröße und Bootsnummer ausfüllen, als Quittungsbeleg. Gehandelt wurde auch manchmal. Sie nahm das Geld an, streng nach einer Preisliste gestaffelt und gab auch - kopfrechnengestählt - Wechselgeld heraus. Manchmal musste auch ein Pfand wie eine Uhr hinterlegt werden.
Und sie glaubte, dabei mit ihrem adrett-aufreizenden Outfit sogar einen gewissen Geschäfts fördernden Einfluss zu besitzen, wenngleich für sie die wirklichen Zusammenhänge eher im Dunkeln blieben.
Manchmal musste sie Nachts auch ganz allein in der Bootsvermietung schlafen, weil ihre Tante die Wohnung für andere Zwecke brauchte und für das Mädchen dann kein Platz darin war. Allein gegenüber von Mürwick und nicht weit von Solitüde, dem legendären Ort, wo 1945 das U-Boot U-2551 einer eigenmächtigen Selbstversenkung durch die grauen Wölfe zum Opfer fiel. Unter dem "Stichwort Regenbogen" wurde mit einem geheimen Befehl bei einer Kapitulation im 2.Weltkrieg die Selbstversenkung aller schwimmenden Einheiten vorgesehen, damit sie nicht in Feindeshand fielen.
Das Mädchen aber war mit einem riesigen Stapel abgegriffener Liebes- und Arztromane versorgt worden - und mit Baldriandragées. Die sollte sie nehmen, weil man dann besser schlafen kann. Sagte die Tante, und was sie sagte, wurde getan. Und es sollte auch dagegen helfen, wenn man Angst hatte, weil ja alles so still und dunkel war. Und etwas mulmig war ihr schon irgendwie, so ganz allein am Strand, es könnte ja auch ein böser Mann kommen. Dagegen half aber auch Lesen.
Die Heftchenromane verschlang sie gierig und kannte sie bald in- und auswendig. Ihr wurde bald klar, dass alle nach demselben Schema aufgebaut waren. Zuerst lieben sich zwei Leute, dann gibt es einen Tumult und am Ende wird wieder alles gut. Oder sie lernen sich kennen, eine böse Macht versucht sie auseinander zu bringen und es folgte ein Happy End. Später wurden die Hefte irgendwann langweilig. Zu Hause bei ihren Eltern gab es so etwas nicht. Aber Tante Else besaß auch andere Bücher, von Agnes Miegel, Ina Seidel "Das Wunschkind", Francoise Sagan "Bonjour Tristesse" und C.W.Cerams "Götter, Gräber und Gelehrte". Im Letzteren wurde der Untergang Pompejis eindrucksvoll beschrieben, wie alles in und unter der Asche des Vesuvs versank und nur noch die menschlichen Abdrücke im versteinerten Tuff übrig blieben. Doch in der Bootsvermietung lagen nur Schundromane oder Groschenheftchen, wie Tante Else ihre Lektüre auch gern nannte. Und die Nächte im Bootshaus verlangten nach Zerstreuung. Am Morgen danach kam die Tante ganz früh zum Strand und machte dem Mädchen das Frühstück. Es war noch kühl und diesig und es gab Schwarzbrot mit Margarine und Tomatenscheiben mit Salz. Erleichtert atmete sie auf.
Tagsüber half sie beim Bootevermieten, taute die Boote ab und an und lernte nebenbei von Onkel Peter Seemannsknoten. Mit dem Webleinsteg konnte man zum Beispiel die Kähne am Steg sicher befestigen. Darauf pochte er penetrant.
Da sie aber immer noch nicht schwimmen konnte, hatte die Tante sie zum Schwimmunterricht angemeldet und an die Seebrücke geschickt. In ihrer Schule hatte sie es noch nicht gelernt, weil sie panische Angst vor dem tiefen Wasser hatte und ihr Sportlehrer sie im Schwimmbad immer nur anschrie. Am Ende dann, als sie es überhaupt nicht lernen wollte, übersah er sie einfach.
Hier sollte sie es also jetzt endlich schaffen.
Der Schwimmkurs auf der Seebrücke mit einem Schwimmlehrer, der war kein bisschen böse war. Er stand oben auf der Brücke und hielt den Kindern im Wasser eine lange Holzstange hinunter, an der sie sich festhalten konnten. Zusätzlich trug jedes Kind eine blaue oder grüne Schwimmweste, die auf dem Rücken festgeschnallt war und im Wasser glänzte. Es entbehrte nicht einer gewissen hanseatischen Anmut - doch alles war umsonst. Sobald sie allein im tiefen Wasser schwimmen sollte, befiel sie wieder die Angst, unterzugehen. Sie ging bald nicht mehr zur Brücke.
Stattdessen ruderte sie lieber in ihrem Lieblingsruderboot, dem roten Zweier allein in die Flensburger Förde hinaus. Es roch wie immer nach Terpentin und an manchen Tagen bekam sie von dem Geruch Kopfschmerzen. Weil das Boot ein kleines Leck hatte, nahm sie immer einen Schwamm und eine leere Konservendose zum Wasserschöpfen mit. Sonst wäre das Boot vielleicht noch untergegangen auf dem weiten Weg bis zur Marineschule Mürwick, die auf der anderen Seite der Förde gegenüber dem Badestrand gelegen war. Sie braucht für eine Strecke etwa 25 Minuten. Auf dem Weg dorthin musste sie einige Male das Wasser abschöpfen. Niemals hatte sie Angst, unterzugehen oder zu kentern, obwohl sie nie eine Schwimmweste trug. Damals trug man noch keine Schwimmwesten wegen Lappalien..
Wenn sie dann am Ende wohlbehalten und gesund wieder in der Bootsvermietung angekommen war, breitete sich eine angenehme Müdigkeit in ihrem Körper aus. Und keiner schimpfte mit ihr.
Die Gebresten lauerten doch eher im Haushalt der Tante, wo es an warmem Wasser und angemessenen sanitären Einrichtungen mangelte. Aber das kannte sie schon von zu Hause. Nur die Mutter achtete da etwas strenger darauf, dass sie sich auch wusch.
"Hände bis zum Ellenbogen." hieß es bei ihr am Abend.
Schon bald bekam sie diese schmerzhaften Beulen mit Bläschenbefall in der Mundhöhle. Tante Else sagte dazu einfach Mundfäule und ließ sie den Mund mit Kamillentee und Kamillosan ausspülen. So konnte sie viele Tage nicht richtig essen und die Tante war traurig, ihr gar nicht gebührend ihre 4-eckige, rautengewürfelte Bratpfanne von Fissler vorführen zu können.
"Ist die nicht v i e l schöner als die Pfanne deiner Mutter?" fragte sie.
Die war nämlich nicht rund und glatt, wie normale, profane Pfannen eben sind.
Und nachts, da schlief sie dann oben unterm Dach im Mansardenzimmer von Tante Elses Tochter Barbara, die schon halb ausgezogen war (aus der Wohnung natürlich). Das Mädchen lag auf einer Luftmatraze, wenn Barbara in ihrem Zimmer wohnte. Wenn nicht, las sie in ihrem Klappbett Mädchenbücher. In schwülen oder lauen Sommernächten herrschte ein ganz besonderes Flair, wenn durch das offene Dachfenster die Straßenbahnen in regelmäßigen Abständen mit unvergesslichen Klangfolgen läuteten und klingelten.
Weil der Weg zum WC im Erdgeschoss viel zu weit war, hatte die Tante ihr einen dieser hellblauen Plastikeimer mitgegeben. Nur kippte der Nachts manchmal um und ihr Bettzeug wurde dann ganz nass. Doch es war Sommer und am nächsten Tag war alles wieder getrocknet.
Niemand schimpfte mit ihr, die Sonne schien hell und es war eine schöne Zeit in ihrem bisherigen Leben. Und wenn die Tante 40 DM mit dem Bootsverleih eingenommen hatte, gab es zur Belohnung ein dänisches Vanille-Eis.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 02.08.2007
Kategorie: Kurzgeschichten

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