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Heureka, ich hab's!

Inge Wrobel - 18.10.2005

Es war ein wunderschöner Tag. Professor Oswald Hähnel setze sich wohlgemut in sein Auto, um die ihm vorgegebene Strecke zu fahren. Heute, bei diesem Wetter, machte die Tätigkeit als Verkehrsexperte Spaß. Der Wissenschaftler sollte heute einem außergewöhnlichen Unfall-Phänomen auf die Spur kommen; besonders dadurch von seinen üblichen Gutachter-Fahrten abweichend, weil die Wettersituation so angenehm war. Das war das Besondere an dieser Untersuchung: immer hatte es ein Wetterchen, bei dem man wünschte, Cabrio zu fahren; keinesfalls unfallbegünstigend.
Mit seiner älteren aber nicht unkomfortablen Limousine fädelte sich Dr. Hähnel in die BAB-Zufahrt ein. Ab jetzt achtete er auf die km-Angaben am rechten Rand.
Sein Auftrag lautete herauszufinden, warum an einer bestimmten Stelle immer wieder Unfälle mit tödlichem Ausgang passierten, für die die Verkehrspolizei keine logische Erklärung hatte.
Die Wetterlage lieferte kein Indiz. Es gab auch keine Baustellen in diesem Bereich. Die umfassende Statistik, die dem Gutachter zur Verfügung gestellt worden war, gab keinen Aufschluß. Nun war es an der Zeit, durch Abfahren der Strecke die Praxis ins Spiel zu bringen. Manchmal waren die Straßen seitlich falsch überhöht. Dann konnte ein zu schnell fahrendes Auto aus der Kurve geschleudert werden, und der Fahrer verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Der Professor war informiert genug, um alle Möglichkeiten zu kennen. In seinen Vorlesungen, die er über Verkehrsrecht an der Uni hielt, war das gesamte theoretische Spektrum behandelt worden. Und Hähnel war versiert genug, die ausstehenden praktischen Erklärungen zu erkennen, zu analysieren und klar zu beschreiben.
Auf dem Beifahrersitz lag das Klemmbrett mit Papier, daneben verschiedene Stifte. Außerdem hatte er direkt vor sich am Armaturenbrett ein Mikrophon installiert, das mit einem Spezial-Bandgerät verbunden war. Bei seinen Gutachter-Fahrten wurde diese Anlage stets noch vorm Starten aktiviert. Eine praktische Sache, denn manchmal konnte die Sekretärin den Bericht des Wissenschaftlers direkt vom Band in das Protokoll übernehmen.
Oswald Hähnel nähert sich der bewußten Stelle. Leise aber deutlich spricht er in das Mikrophon. Keinerlei Besonderheiten. Vor ihm folgt die Straße einer langgezogenen Klothoide. Damit entspricht die Straße genau den neuen Bestimmungen die vorschreiben, wie Kurven auf Autobahnen gebaut sein müssen, damit es nicht zu Unfällen kommen kann. Weit und breit ist kein anderes Fahrzeug zu sehen. Das Wetter wie im Bilderbuch. Ein Sonnenstrahl trifft ihn, blendet kurz. „Heute ist ein Tag zum Sterben!“ jubelt es in ihm. Er fühlt sich leicht, glücklich, ja – selig. Er scheint nichts zu spüren, außer dieser wohligen Geborgenheit, dieser ihn ganz umfassenden Wärme.

Bei der Aufnahme des Unfalls findet ein Beamter im schrottreifen Wagen ein unversehrtes Klemmbrett. Auf dem Blatt stehen die Worte: „Heureka, ich hab’s!“
Dieselben Worte sind als Letztes auf dem Band zu hören, das wie durch ein Wunder unbeschädigt blieb.

Der Polizeibeamte, der das Gutachten bei dem Professor in Auftrag gab, überprüft den neuen Bericht und entdeckt die Übereinstimmung. Wie auch in den vorangegangenen Unfällen fehlt jeder Hinweis auf die Unfallursache. Nie gab es Augenzeugen. Immer war das Unfallauto zu diesem Zeitpunkt das einzige auf diesem Streckenabschnitt. Jedesmal ist der Wagen zu einem kleinen Schrotthäuflein verbrannt. Und wie stets zuvor ist auch hier nichtmal ein Ascherest von dem Fahrer zu finden. So, als hätte dieser sich vor dem Crash entfernt und in Luft aufgelöst.





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 18.10.2005
Kategorie: Kurzgeschichten

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