Tagebuch 1/1

Tagebuch 1/1


Ich nehme an gewicht zu, kontinuierlich. ich kann mir einreden, es hinge mit dem essen zusammen. besonders damit, dass ich noch so spät abends esse.
aber heute morgen funktioniert die verschleierungstaktik im kopf noch nicht. ich weiß es eh und heute lassen es meine gedanken zu, dass ich mir eingestehe: ich bin unglücklich.
es ist so einfach wie erschreckend – anderen predige ich das, aber für mich selbst will ich es nicht wahrhaben ... doch es stimmt: ich bin unglücklich, so als wäre ich unglücklich verliebt. es kommt dem sehr nahe, ist ja auch eine form von liebe.
vielleicht tut es wegen dieser besonderen, reinen Liebe auch besonders weh? „reine liebe“ klingt komisch, aber irgendwie stimmt es auch. als kind habe ich so geliebt: rein.
statt zu versuchen, nicht an k. zu denken, sollte ich vielleicht meine form der liebe zu ihm analysieren, um abzunehmen.
da der sexuelle aspekt nie im vordergrund stand, kann ich das vielleicht besser, wenn ich so tue, als seien wir noch kinder – wie damals, als wir miteinander spielten.
wenn man unglücklich ist, ist man auch traurig. ich erlaube mir, traurig zu sein: habe jetzt x-mal hintereinander dieses traurige lied von leonard cohen gehört. „she died without a whisper ...“ – sooo traurig. hab ein bisschen geheult.
kein wunder, dass ich zunehme – kummer macht hungrig – ersatzbefriedigung. aber ich höre nicht auf zu essen, weil ich kein sättigungsgefühl habe. bin ich unersättlich? ich sollte nicht warten, bis ich mich frage, ob ich nicht längst satt bin ... ich sollte mich fragen, ob ich noch hunger habe ....
stattdessen höre ich erst auf zu essen, wenn es drückt.
ja: ersatzdruck – dann bin ich abgelenkt vom seelischen druck. gute erkenntnis!



Inge Wrobel © 2010-07-29