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Der Baum

Inge Wrobel - 08.05.2006

Der Baum


Wurzeln habe ich geschlagen
dort, wo man mich angepflanzt.
Schien es mir schwer zu ertragen,
bin ich aus der Reih’ getanzt.

Hab nur kurze Wurzeltriebe
Heimaterde kenn ich nicht.
Wenn ich mal gern länger bliebe,
lacht' der Sturm mir ins Gesicht:

reißt die kurzen Wurzeln, senkt sie
dort, wo es grad ihm gefällt.
Und mein Wunsch, zu bleiben, lenkt die
Kraft in diese neue Welt.

Ja, der Stamm: ergraut in Jahren,
trocken, brüchig, oft verletzt;
viel ist ihm schon widerfahren –
möcht’ zum Ende kommen jetzt.

Doch da sind ja noch die Äste,
tröstend mischen sie sich ein:
„Wir sind hier doch nicht nur Gäste,
werden immer bei dir sein.

Sind Familie, Freunde, Liebe,
weit verzweigt und immer neu;
bilden jährlich neue Triebe –
du bist jedesmal dabei!“

Schon getröstet denkt der Baum doch,
dass noch irgend etwas fehlt.
Etwas Schönes für den Geist noch,
dass er merkt, dass er beseelt.

Da tönt oben aus den Zweigen
Vogelzwitschern und Gesang
und ihm scheint, sie woll’n sich neigen
dass er höre diesen Klang.

‚Ach’, läßt das den Baum nun denken,
‚bin zwar heimatlos hinieden,
doch ich find bei solch Geschenken
auch mit kurzen Wurzeln Frieden’.


© Inge Wrobel 08.05.2006





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 08.05.2006
Kategorie: Tagebuch

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