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Der Fisch

Inge Wrobel - 29.07.2005

Also ich verstehe die Welt nicht mehr! Warum regt sich Manfred nur so auf?
Ganz rot ist er im Gesicht angelaufen und hat nach Luft geschnappt. Ich musste grinsen, als er den Mund so weit öffnete und die Augen hervorquollen, wie ich das bei Manfred noch nie vorher gesehen hatte. Grinsen musste ich, weil er mich irgendwie an diesen vermaledeiten Fisch erinnerte, der an allem schuld ist. Dieser blöde Fisch hat sein Maul auch so weit aufgerissen, als ich das Messer fachgerecht hinter den Kiemen ansetzte. Na und die Glubschaugen ....
Ich habe schon viele Fische in meinem Leben gesehen und schon manchen zubereitet. Ja, mein Sylvester-Karpfen hat in der Familie einen guten Ruf. Ich weiß genau, in welchem Verhältnis Essig und Wasser gemischt werden müssen, damit er richtig blau wird.
Bei diesem Exemplar aber hatte ich gleich ein komisches Gefühl. Eigentlich war er noch gar nicht groß genug, um geschlachtet zu werden. Aber ich dachte, dass Manfred eben nicht genug von Petris Heil erwischt hatte. Und statt ganz ohne Beute zu kommen, hatte er diese Missgeburt gebracht, weil er halt partout heute Fisch essen wollte.
Ich sagte schon, dass es ein komischer Fisch war? Also diese Farben!
Er war rot-weiß gezeichnet und hatte dann auch noch so komische kleine schwarze Punkte dazwischen. Ich sags ja, 'ne Mißgeburt. Oder eine Mutation durch verseuchtes Wasser, wer weiß ....
Mir war klar, dass ich den schnellstens zubereiten musste, bevor er auch noch anfing, zu stinken.

Das Gefäß, in dem er sich befand, war neu. So hochfortionobel wurden meine Silvester-Karpfen nicht angebracht. Nun ja, vielleicht waren die üblichen Vereins-Behälter gerade ausgegangen, und man hat Manfred deshalb dieses klimatisierte Aquarium für den Transport ausgeliehen. Ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken, sondern mich ans Werk. Es ging ruckizucki und ich dachte, dass Manfred sich freut, wenn das Essen schon auf dem Tisch steht, wenn er kommt.
Er war nur kurz zur Bank gegangen, und hatte etwas von neunundsechzigtausend gemurmelt – keine Ahnung, was er meinte.

Als er nach Hause kam, den Karpfen-Blau auf dem Esstisch sah, der diesmal gar nicht richtig blau war, obwohl ich mehr Essig als sonst genommen hatte, bekam mein Mann diesen schrecklichen Erstickungsanfall. Das Einzige, was er immer wieder sagte, war „keu! ... keu! ...“ und ich nahm an, ich solle ihm sein Asthma-Spray suchen, da er nicht mehr keuchen könne. Also lief ich ins Bad und suchte. Als ich mit dem Spray zurückkam, lag Manfred am Boden und keuchte nicht mal mehr.

Der Notarzt-Wagen kam relativ schnell. Sie haben ihn dort gut versorgt, wollten mich aber zunächst nicht zu ihm lassen. Der Oberarzt erklärte mir, dass Manfred von der Absicht besessen sei, mich umbringen zu wollen. Die Klinikpsychiater seien schon eingeschaltet.

Inzwischen ist Manfred schon sechs Wochen im Landeskrankenhaus. Niemand darf zu ihm. Auch ich nicht.
Ich habe es mir allein gemütlich gemacht. Nur Fisch esse ich seitdem nicht mehr.

Heute war in der Beilage zur Zeitung ein Bericht über Koi-Karpfen. Jetzt ist mir manches klar geworden. Zum Beispiel, warum von unserem Konto, das der Alterssicherung diente, fast 70.000.- € fehlen. Aber das ist nicht so schlimm – es ist noch genug da für mich.



Inge Wrobel © 2005-07-29





Über das Gedicht

Veröffentlicht: 12.12.2007
Kategorie: Kurzgeschichten

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